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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0049
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Euripides’ Medea · Anmerkungen

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43 Die erste vollständig erhaltene Medea-Tragödie, die in dem Sinn ein Drama der
Leidenschaft genannt werden kann, daß die Heldin die Schreckenstat unter dem
Einfluß einer übermächtigen, alle Einwände des Verstandes und alle anderen Ge-
fühle beiseite drängenden Leidenschaft ausführt, ist die 'Medea’ Senecas. Für die
Geschichte des Stoffes zwischen Euripides und Seneca sind zahlreiche Namen
überliefert, aber nur selten kann man Schlüsse auf den Charakter der bezeugten
Stücke ziehen.
Aristophanes bezeugt außer der o. S. 46 besprochenen Wirkung des euripi-
deischen Medea-Monologes in den 'Archarnern’ eine 'Medea’ des Tragikers
Melanthios (Pax 1009f.; vgl. Rh. Mus. 119, 1976, 144-48). Vom Inhalt des
Stückes läßt sich nichts wiedergewinnen. Daß in der 'Medea’ des Karkinos, die
Aristoteles (Rhet. 1400 b 9) erwähnt, Medea nach ihren Worten die Kinder tötet,
um sie der Rache der Korinther zu entziehen, wurde schon oben erörtert (s. S. 38).
Als Leidenschaftsdrama erweist sich eindeutig die 'Medea’ des Neophron (Tr.
G. F. 15 F 2), insbesondere durch das zweite der erhaltenen Fragmente. Es zeigt
so viele Anklänge an den großen Monolog der Euripides-Tragödie (1019-1080),
daß die beiden Stücke schwerlich unabhängig voneinander entstanden sein kön-
nen (1 ~ 1056, 1079; 10 ~ 1075; 14 ~ 1067; weitere Parallelen notiert Page,
Introduction p. XXXIIIf.).
Wie die Medea-Tragödien des Biotos (Tr. G.F. 205 F 1), des Theodorides,
für den ein Lenäensieg i. J. 363 v. Chr. bezeugt ist (Tr. G. F. 78 A), und des
Dikaiogenes, der durch eine Erwähnung bei Aristoteles (Poet. 1455 a 1) zeitlich
bestimmt wird (Tr. G.F. 52 F la), ausgesehen haben, läßt sich nicht mehr er-
mitteln. Dasselbe gilt für die 'Medea’ des jüngeren Euripides (Tr. G.F. 17), der
ein Neffe des großen Tragikers war, und des Diogenes von Sinope (s. o. S. 44).
Welche Episode der Argonautensage der 'Jason’ des Tragikers Antiphon (Tr.
G.F. 55 F la) behandelte, etwa wie die 'Kolcherinnen’ des Sophokles die Ge-
winnung des Goldenen Vließes (T.G.F. p. 204), wissen wir gleichfalls nicht.
Als wahrscheinlich kann indessen gelten, daß der Rhodier Melanthios, ein Schüler
des Karneades, für den ein tragischer Sieg bezeugt ist (Tr. G.F. 131), auch eine
'Medea’ verfaßte, aus der ein Vers erhalten blieb (F 1). Wenn diese Vermutung
zutrifft, war diese 'Medea’ wohl gleichfalls ein Leidenschaftsdrama (o. S. 38).
Eine Medea-Tragödie ist auch für Cn. Pompeius Macer, den Sohn des Historikers
Theophanes von Mytilene, bezeugt, der mit Ovid, dem Verfasser einer berühmten
lateinischen Medea-Tragödie, befreundet war (Tr. G.F. 180 F 1). Diese Tragödie
wird man übrigens gewiß als Lesedrama anzusehen haben.
Die große Zahl bezeugter Medea-Tragödien weist auf die Beliebtheit des Stoffes.
Freilich kann man nicht immer sagen, ob eine mit dem Namen der Medea betitelte
Tragödie die im Mord an den Kindern gipfelnden Ereignisse in Korinth behan-
delte. Für die 'Medea’ des Accius (fr. 391ff. Ribbeck2) gilt das sicher nicht. Ihr
Stoff war die Flucht aus Kolchis mit dem Goldenen Vließ, insbesondere die
Apsyrtos-Episode.
Denselben Vorbehalt muß man auch bei den uns bezeugten Komödien mit
dem Titel 'Medea’ machen. Je zweimal ist der Titel für die Alte (Strattis, C.A.F.
I p. 71 lff.; Kantharos, C.A.F. I p. 764ff.) und die Mittlere Komödie (Antiphanes,
C.A.F. II p. 12ff.; Eubulos, C.A.F. II p. 164ff.) bezeugt. Nur im Fall des Strattis
kann man vermuten, daß es sich um eine Parodie des euripideischen Stückes han-
 
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