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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0050
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Albrecht Dihle

delte, denn der Name Kreon, der in einem Fragment (fr. 34) vorkommt, deutet
auf den nur bei Euripides so benannten König von Korinth.
Die 'Medea’ des Ennius, von der zahlreiche Fragmente erhalten sind, schloß
sich aufs engste an Euripides an, wenn es sich auch keineswegs um eine einfache
Übersetzung handelte, wie Cicero behauptete. (Gute Charakteristik bei F. Leo,
Geschichte der römischen Literatur, Darmstadt 21976 (1913) 191f.) Es sind sogar
stoffliche Erweiterungen festzustellen. Leider gestattet keines der Fragmente eine
Entscheidung der Frage, ob Ennius die euripideische Tragödie als Leidenschafts-
drama aufgefaßt hat, wie die Philosophen des Hellenismus und der Kaiserzeit.
Außer der 'Medea’ Senecas weiß man noch von den gleichnamigen Tragödien
des Ovid und des Curiatius Maternus (Tac. dial. 3), und erhalten ist der Vergil-
Cento des Hosidius Geta aus dem 2. Jh. n. Chr. (Anthol. Lat. 1,61 ff.; vgl. Tert,
praescr. haer. 39). Das Zeugnis der außerdramatischen Literatur ist nicht umfang-
reich. Valerius Flaccus behandelt die Ereignisse in Korinth ebensowenig wie sein
Vorbild Apollonios von Rhodos, so daß die Medea-Porträts dieser Dichtungen
nur mit Vorsicht herangezogen werden können. Etwas ergiebiger ist Ovids Medea-
Brief (Heroid. 12). Hier verrät vor allem der Schluß die herkömmliche Auffassung
von einer Medea, die der Emotion folgt und die Kinder töten muß, und dieses bei
vollem Bewußtsein der Ungeheuerlichkeit ihrer Tat (208ff.):
ingentis parturit ira minas.
Quo feret ira, sequar, facti fortasse pigebit,
et piget infido consuluisse viro.
Viderit ista deus, qui nunc mea pectora versat.
Nescio quid certe mens mea maius agit
Relativ unergiebig ist natürlich auch das Gedicht des Hosidius Geta, weil die
vorgeformten Vergilverse der Gestaltung von Charaktem enge Grenzen setzen.
Immerhin kann man vor allem 273ff. als Hinweis darauf ansehen, daß dem Ver-
fasser das traditionelle Medea-Bild vorschwebte und sich damit an eine Kon-
vention hielt, für die er ein später Vertreter ist.
Damit bleibt das Drama Senecas die einzige in vollem Umfang der Inter-
pretation zugängliche Medea-Tragödie nach Euripides. Daß sie eine Leiden-
schaftstragödie im angedeuteten Sinn ist, hat noch niemand bestritten. Der
Durchbruch der zerstörenden Leidenschaft wird in einem großen Monolog an-
schaulich gemacht, der dem Mord unmittelbar vorausgeht (893-977). Der Mono-
log beschreibt den Kampf der widerstreitenden Gefühle mit großer Eindringlich-
keit. Dabei geht es nicht so sehr um die Auseinandersetzung zwischen Vernunft
und Leidenschaft als vielmehr um Widerstreit entgegengesetzter Gefühle (z. B.
928 ira discessit loco / materque tota coniuge expulsa redit oder 938 variamque
nunc huc ira, nunc illuc amor / diducit?). Medeas Verstand registriert diesen
Kampf mit großer Genauigkeit (943 ira pietatem fugat / iramque pietas), nachdem
er zunächst den furchtbaren Ansturm des Gefühls nur undeutlich erfaßt hatte
(918 nescio quid ferox / decrevit animus intus). Zum Schluß fällt die bewußt ge-
troffene Entscheidung für die Forderung der ira (953 Ira, qua ducis, sequar), ohne
daß der Verstand selbst im inneren Dialog den Versuch unternommen hätte -
etwa mit dem Verweis auf sittliche Maßstäbe - Medea von der Tat abzubringen.
Das Schwanken Medeas (z. B. 895 quid, anime, cessas oder 937 quid, anime, ti-
tubas) wird nicht damit erklärt, daß ihre Emotionen dem Racheplan die Mit-
 
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