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Eike Wolgast
Verhältnis des Menschen zur göttlichen und menschlichen Herrschaft
wurde durch Mt.22,21 „Date Caesari. . .“ auf eine Weise bestimmt, die
für das konkrete Handeln wenig hilfreich war, während die clausula
Petri (Act.5,29) im Konfliktfall zwischen den beiden Ansprüchen den
Gottesgehorsam dem Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit überord-
nete. Für den Fall gewissenszwingender Befehle der weltlichen Obrig-
keit mußte der Christ nach Act.5,29 den Gehorsam verweigern, durfte
aber nicht aktiv gegen die unrechtmäßigen Anordnungen vorgehen,
sondern hatte die Folgen seines Ungehorsams äußerlich passiv und in
der Bereitschaft zum Martyrium zu ertragen. Als Mittel des Wider-
stands waren nur der Wortprotest und das Gebet um Kraft im Leiden
und um Abhilfe durch ein Eingreifen Gottes zugestanden. Für die poli-
tische Selbstbehauptung als Konfessionspartei im Religionskonflikt er-
wiesen sich die Lösungen des Neuen Testaments mithin als unbrauch-
bar.
Aus dieser Schwierigkeit halfen sich die Theoretiker des 16. Jahrhun-
derts mit der Konstruktion, die causa religionis als causa iuris auszuge-
ben, d. h. als einen Rechtsfall, für den die Festlegungen des positiven
Rechts galten. Denn auf eine causa iuris bezogen sich die Vorschriften
nicht, die das Neue Testament einem Widerstandsrecht in der causa re-
ligionis entgegenstellte, da für die Lösung einer Rechtsfrage nicht die
Bibel zuständig war, sondern das positive Recht, wie es für den Fall der
rechtmäßigen Auflehnung gegen obrigkeitliche Anordnungen im
Lehns- und Ständerecht des Mittelalters vorlag2. Der Christ entkam der
Pflicht, für seinen Glauben zu leiden und die eigene Konfession den Un-
terdrückungsmaßnahmen einer andersgläubigen Obrigkeit auszusetzen,
indem er seinen Konflikt mit der Obrigkeit von der Ebene der causa re-
ligionis auf die Ebene der causa iuris verschob und ihn mit den dort gel-
tenden Auffassungen über das Wesen von Herrschaft und Gehorsam,
Tyrannis und Abwehr widerrechtlicher Handlungen verband.
Das Lehnsrecht gründete Gehorsam und Treue auf die Vorstellung
eines Vertragsverhältnisses, bei dessen Verletzung der Lehnsmann den
Herrn verlassen durfte. Die Aufsage des Gehorsams war zum formellen
Rechtsinstitut ausgebildet worden, die „diffidatio“ war Voraussetzung
2 Vgl. dazu F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter
(1914; 3. Aufl. Darmstadt 1962); J. Spörl, Gedanken um Widerstandsrecht und Ty-
rannenmord im Mittelalter. In: Kaufmann-Backmann (s. Anm. 1), 87ff. (mit Angabe
weiterer Literatur); vgl. auch H.-P. Schneider, Das „ius resistendi“ als rechtstheologi-
sches Problem in Geschichte und Gegenwart. In: ZRG 90 Kanon. Abt. 59/1973,
388ff.
Eike Wolgast
Verhältnis des Menschen zur göttlichen und menschlichen Herrschaft
wurde durch Mt.22,21 „Date Caesari. . .“ auf eine Weise bestimmt, die
für das konkrete Handeln wenig hilfreich war, während die clausula
Petri (Act.5,29) im Konfliktfall zwischen den beiden Ansprüchen den
Gottesgehorsam dem Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit überord-
nete. Für den Fall gewissenszwingender Befehle der weltlichen Obrig-
keit mußte der Christ nach Act.5,29 den Gehorsam verweigern, durfte
aber nicht aktiv gegen die unrechtmäßigen Anordnungen vorgehen,
sondern hatte die Folgen seines Ungehorsams äußerlich passiv und in
der Bereitschaft zum Martyrium zu ertragen. Als Mittel des Wider-
stands waren nur der Wortprotest und das Gebet um Kraft im Leiden
und um Abhilfe durch ein Eingreifen Gottes zugestanden. Für die poli-
tische Selbstbehauptung als Konfessionspartei im Religionskonflikt er-
wiesen sich die Lösungen des Neuen Testaments mithin als unbrauch-
bar.
Aus dieser Schwierigkeit halfen sich die Theoretiker des 16. Jahrhun-
derts mit der Konstruktion, die causa religionis als causa iuris auszuge-
ben, d. h. als einen Rechtsfall, für den die Festlegungen des positiven
Rechts galten. Denn auf eine causa iuris bezogen sich die Vorschriften
nicht, die das Neue Testament einem Widerstandsrecht in der causa re-
ligionis entgegenstellte, da für die Lösung einer Rechtsfrage nicht die
Bibel zuständig war, sondern das positive Recht, wie es für den Fall der
rechtmäßigen Auflehnung gegen obrigkeitliche Anordnungen im
Lehns- und Ständerecht des Mittelalters vorlag2. Der Christ entkam der
Pflicht, für seinen Glauben zu leiden und die eigene Konfession den Un-
terdrückungsmaßnahmen einer andersgläubigen Obrigkeit auszusetzen,
indem er seinen Konflikt mit der Obrigkeit von der Ebene der causa re-
ligionis auf die Ebene der causa iuris verschob und ihn mit den dort gel-
tenden Auffassungen über das Wesen von Herrschaft und Gehorsam,
Tyrannis und Abwehr widerrechtlicher Handlungen verband.
Das Lehnsrecht gründete Gehorsam und Treue auf die Vorstellung
eines Vertragsverhältnisses, bei dessen Verletzung der Lehnsmann den
Herrn verlassen durfte. Die Aufsage des Gehorsams war zum formellen
Rechtsinstitut ausgebildet worden, die „diffidatio“ war Voraussetzung
2 Vgl. dazu F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter
(1914; 3. Aufl. Darmstadt 1962); J. Spörl, Gedanken um Widerstandsrecht und Ty-
rannenmord im Mittelalter. In: Kaufmann-Backmann (s. Anm. 1), 87ff. (mit Angabe
weiterer Literatur); vgl. auch H.-P. Schneider, Das „ius resistendi“ als rechtstheologi-
sches Problem in Geschichte und Gegenwart. In: ZRG 90 Kanon. Abt. 59/1973,
388ff.