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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0013
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Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

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der Fehde; damit war das ins resistendi unmittelbarer Bestandteil des
Lehnsrechts. Der Gedanke des Vertrags und die daraus folgende For-
malisierung der Rechtsbeziehungen wurden bei der Ausbildung des
Ständestaates übernommen und zur rechtlichen Begründung der Aus-
übung von Herrschaft verwendet3. Der Herrschaftsvertrag als Unter-
werfungsvertrag mit obligatio mutua wurde als eine Abmachung zwi-
schen dem Fürsten und den Ständen, die das Land repräsentierten, ver-
standen. Nach dieser Konstruktion ist die Herrschaftsgewalt geteilt und
die Stände wirken als Korporation eigenen Rechtes bei der „Bildung
des Staatswillens in einer vertragsmäßigen Weise“4 mit. Die Stände
nehmen dabei ihre eigenen Rechte und Interessen wahr, handeln aber
ihrem Selbstverständnis nach auch für alle Untertanen, d. h. sie sind das
Land im Gegensatz zum Fürsten. Werden ihre Rechte vom Fürsten ver-
letzt, haben sie das Recht zur „Verlassung“ und zum Widerstand; dieses
Recht zur Gehorsamsaufsage mit ihren Folgen ist entweder durch Ge-
wohnheitsrecht begründet oder in Herrschaftsverträgen, Freiheitsbrie-
fen und Handfesten fixiert5.
3 Auf die Frage der Herleitung der Gewalt durch Herrschaftsvertrag und das Problem
der sog. Volkssouveränität kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen wer-
den. Mit dem oft für das 16. Jahrhundert angewendeten Begriff „Volkssouveränität“
wird ein Sachverhalt auf die Zeit des Vorkonstitutionalismus übertragen, der für das
späte Mittelalter und das 16. Jahrhundert nicht paßt. Die „Volkssouveränität“ jener
Zeit hat mit der Staats- und Gesellschaftstheorie, wie sie im 18. Jahrhundert entwik-
kelt worden ist, nichts gemeinsam, sie ist eine ständisch gebundene, korporative „Sou-
veränität“. Die mit dem modernen Begriff verbundene Vorstellung vom Volk als ei-
genhandelndem Subjekt und als Träger des Staatswillens ist für das 16. Jahrhundert
ein Anachronismus. Zu dem immer wiederkehrenden Verweis auf Manegold von
Lautenbach als ersten mittelalterlichen Vertreter der Lehre von der Volkssouveräni-
tät und des Herrschaftsvertrags vgl. H. Fuhrmann, „Volkssouveränität“ und „Herr-
schaftsvertrag“ bei Manegold von Lautenbach. In: Festschrift Hermann Krause
(Köln-Wien 1975), 21ff. Die Formulierung: „Pactum pro quo constitutus“ (Liber ad
Gebehardum, 30; MG Ldl I, 365, 16) übersetzt Fuhrmann, 37 einleuchtend mit „Vor-
aussetzung oder Bedingung . . ., derentwegen oder besser: unter der ein König ins
Amt gekommen ist“. Für die Traditionsgeschichte des Widerstandsrechts im 16. Jahr-
hundert trägt Manegold, obwohl er in der modernen Literatur immer wieder genannt
wird, ohnehin nichts aus, da der Liber ad Gebehardum nur in einer Handschrift über-
liefert ist, die erst im 19. Jahrhundert publiziert wurde.
4 H. Weinkauff, in: Staatslexikon Bd. 8, 679.
5 Vgl. die Beispiele bei K. Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom
Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt (Bres-
lau 1916), 23ff. Vgl. auch W. Näf, Herrschaftsverträge und Lehre vom Herrschafts-
vertrag. In: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 7/1949, 26ff.; ders.,
Frühformen des „Modernen Staates“ im Spätmittelalter. In: HZ Bd. 171 /1951, 225ff.
 
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