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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0017
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Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

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Streckers zusammenfallen zu lassen. Sonst aber wurde im allgemeinen
nicht zwischen Richter und Exekutor des Urteilsspruchs unterschieden.
Der Kreis der zur Ausübung von Widerstand Berechtigten hing da-
von ab, ob das Widerstandsrecht als individuelles oder als ständisch-
korporatives Recht aufgefaßt wurde. Dementsprechend kamen als Trä-
ger in Frage:
a) die amtlosen Untertanen (homines privati), entweder als Einzelper-
sonen oder als Gemeinschaft;
b) die Stände als Gesamtkörperschaft;
c) einzelne Angehörige der Stände, die als Repräsentanten der Körper-
schaft auftraten, wenn eine Tagung gewaltsam verhindert wurde oder
die Stände als Gesamtgremium ihren Rechtsverpflichtungen nicht nach-
kamen - dabei gab es die weitere Unterscheidungsmöglichkeit zwischen
Mehrheit und Minderheit als zur Ausübung des Widerstandsrechts be-
fugt;
d) die unteren Amtsträger (magistratus inferiores), denen für ihren
Kompetenzbereich ein eingeschränktes Widerstandsrecht gegen einen
tyrannischen Angriff zuerkannt werden konnte.
Tatsächlich wurde das Widerstandsrecht von seinen Befürwortern im
16. Jahrhundert fast durchgängig als Bestandteil einer regulären Institu-
tionenkontrolle definiert und daher an bestehende Institutionen gebun-
den, die durch Recht oder Gewohnheit dazu legitimiert waren. Demge-
genüber erhielten die amtlosen Untertanen nur selten das Recht zuge-
sprochen, als Gruppe oder als Einzelne ohne Aufforderung der für sie
zuständigen Obrigkeit gegen eine ungerechte Herrschaft vorzugehen12.
Für sie blieben im allgemeinen die Gehorsamsvorschriften von Röm. 13
auch gegenüber einer als tyrannisch empfundenen Obrigkeit uneinge-
schränkt in Geltung, sie mußten die Folgen eines Ungehorsams, der mit
der clausula Petri begründet war, ohne Eigenaktivität ertragen13. Ge-
mäß dem altchristlichen Rat, sich nicht zum Martyrium zu drängen,
wurde dem homo privatus allerdings schon von Luther und Calvin die
Möglichkeit eröffnet, der Verfolgung auszuweichen14, so daß sich für

12 Nur bei Christopher Goodman, John Knox und den katholischen Monarchomachen
bestehen Wirkungsmöglichkeiten für den Einzelnen; vgl. dazu unten S. 31f. 33f. 49f.
13 Im Gegenteil war das Leiden zu begrüßen als Gelegenheit der Selbstvervollkomm-
nung; vgl. Luther 1520: „Unrecht leyden vorterbt niemand an der seien, ja es bessert
die seien, ob es wol abnimpt dem leyb und gut“; WA Bd. 6, 259, 16ff.
14 Begründet durch Mt. 10,23. Zum ius emigrandi vgl. U. Scheuner, Die Auswande-
rungsfreiheit in der Verfassungsgeschichte und im Verfassungsrecht Deutschlands. In:
Festschrift Richard Thoma (Tübingen 1950), 199ff.
 
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