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Eike Wolgast
ihn die Alternative ergab: Gewaltloser Widerstand mit Wortprotest
oder Emigration15.
Von der Regel der Inkompetenz des Einzelnen für das Widerstands-
recht gab es nur eine Ausnahme: die theologische Figur des „vir hero-
icus“, der in unmittelbarer Vollmacht Gottes handelt und nicht an irdi-
sches Gesetz oder andere Beschränkungen gebunden ist. Das Vorbild
für diesen Ausnahmemenschen lieferten die Helden des Alten Testa-
ments mit dem Archetyp Simson1Sa. In Luthers Theologie erscheint der
vir heroicus als Instrument Gottes mit dem allgemeinen Auftrag, die
zerrüttete Schöpfung in ihren verdorbenen Teilen zu erneuern, ohne
daß dabei ausdrücklich auf das Widerstandsrecht gegen tyrannische
Herrschaft Bezug genommen wird; bei Calvin zählen dagegen Rache
und Strafe der verderbten Herrschaft zu den besonderen Aufgaben des
vir heroicus, der in der vocatio Dei legitima ein Mandat zum Wider-
stand besitzt, das jedes irdische Recht übersteigt16.
Luther wie Calvin haben allerdings immer wieder den Ausnahmecha-
rakter dieser Erscheinung eingeschärft und Calvin hat in der Krisensi-
tuation des französischen Protestantismus eindringlich vor der leichtfer-
tigen Berufung auf das Vorbild des Alten Testaments und damit vor ei-
ner eigenmächtigen Usurpation der vocatio Dei legitima gewarnt: „Ce
seroit follement argue a nous, et ce seroit une badinerie quand nous di-
sions: Voila Dieu qui a rachete son Eglise de la tyrannie des mechans et
incredules, par le moyen de Jephthe, par le moyen de Samson, par le
moyen de Gedeon et de leurs semblables; ainsi en sera-il donques si
nous voyons les enfans de Dieu estre iniustement opprimez, il nous sera
licite de prendre les armes pour les secourir. Or cest argument-la est
trop cornu. Car il faudroit que nous eussions Eesprit de ceux que nous
pretendons, c’est ä dire, que nous eussions certitude que Dieu nous ap-
pelle ainsi. . . . Ils ont eu des mouvements particuliers, comme il y aura
des Privileges d’une loy commune. Ainsi en toutes choses il nous faut
noter, que quand dieu besogne outre la reigle commune, qui est fondee
15 Für Calvin ist die Emigration neben der Rettung der eigenen Existenz ein seelsorgerli-
cher Akt, da sie die Gegner daran hindert, durch Verfolgung der Gläubigen in Sünde
zu fallen; vgl. E. Wolf, Das Problem des Widerstandsrechts bei Calvin (1956). In:
Kaufmann-Backmann (s. Anm. 1), 158.
lsa Vgl. dazu R. Hermann, Die Gestalt Simsons bei Luther. In: Ders., Gesammelte Stu-
dien zur Theologie Luthers und der Reformation (Göttingen 1960), 427ff.
16 Zum vir-heroicus-Gedanken bei Luther vgl. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie
und die Politik der evangelischen Stände (Gütersloh 1977), 30ff.; zu Calvin vgl. R.
Nürnberger, Die Politisierung des französischen Protestantismus (Tübingen 1948),
24ff.
Eike Wolgast
ihn die Alternative ergab: Gewaltloser Widerstand mit Wortprotest
oder Emigration15.
Von der Regel der Inkompetenz des Einzelnen für das Widerstands-
recht gab es nur eine Ausnahme: die theologische Figur des „vir hero-
icus“, der in unmittelbarer Vollmacht Gottes handelt und nicht an irdi-
sches Gesetz oder andere Beschränkungen gebunden ist. Das Vorbild
für diesen Ausnahmemenschen lieferten die Helden des Alten Testa-
ments mit dem Archetyp Simson1Sa. In Luthers Theologie erscheint der
vir heroicus als Instrument Gottes mit dem allgemeinen Auftrag, die
zerrüttete Schöpfung in ihren verdorbenen Teilen zu erneuern, ohne
daß dabei ausdrücklich auf das Widerstandsrecht gegen tyrannische
Herrschaft Bezug genommen wird; bei Calvin zählen dagegen Rache
und Strafe der verderbten Herrschaft zu den besonderen Aufgaben des
vir heroicus, der in der vocatio Dei legitima ein Mandat zum Wider-
stand besitzt, das jedes irdische Recht übersteigt16.
Luther wie Calvin haben allerdings immer wieder den Ausnahmecha-
rakter dieser Erscheinung eingeschärft und Calvin hat in der Krisensi-
tuation des französischen Protestantismus eindringlich vor der leichtfer-
tigen Berufung auf das Vorbild des Alten Testaments und damit vor ei-
ner eigenmächtigen Usurpation der vocatio Dei legitima gewarnt: „Ce
seroit follement argue a nous, et ce seroit une badinerie quand nous di-
sions: Voila Dieu qui a rachete son Eglise de la tyrannie des mechans et
incredules, par le moyen de Jephthe, par le moyen de Samson, par le
moyen de Gedeon et de leurs semblables; ainsi en sera-il donques si
nous voyons les enfans de Dieu estre iniustement opprimez, il nous sera
licite de prendre les armes pour les secourir. Or cest argument-la est
trop cornu. Car il faudroit que nous eussions Eesprit de ceux que nous
pretendons, c’est ä dire, que nous eussions certitude que Dieu nous ap-
pelle ainsi. . . . Ils ont eu des mouvements particuliers, comme il y aura
des Privileges d’une loy commune. Ainsi en toutes choses il nous faut
noter, que quand dieu besogne outre la reigle commune, qui est fondee
15 Für Calvin ist die Emigration neben der Rettung der eigenen Existenz ein seelsorgerli-
cher Akt, da sie die Gegner daran hindert, durch Verfolgung der Gläubigen in Sünde
zu fallen; vgl. E. Wolf, Das Problem des Widerstandsrechts bei Calvin (1956). In:
Kaufmann-Backmann (s. Anm. 1), 158.
lsa Vgl. dazu R. Hermann, Die Gestalt Simsons bei Luther. In: Ders., Gesammelte Stu-
dien zur Theologie Luthers und der Reformation (Göttingen 1960), 427ff.
16 Zum vir-heroicus-Gedanken bei Luther vgl. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie
und die Politik der evangelischen Stände (Gütersloh 1977), 30ff.; zu Calvin vgl. R.
Nürnberger, Die Politisierung des französischen Protestantismus (Tübingen 1948),
24ff.