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Eike Wolgast
Aufruhr und führte nur zur Anarchie; auch die ungerechte Obrigkeit
blieb von Gott eingesetzt. Zur Eigenaktivität war der einfache Unter-
tan nicht berechtigt, sofern er nicht eine besondere vocatio dei besaß:
„Nec quisquam propria temeritate impulsus plus tentabit quam ferat sua
vocatio, quia seiet fas non esse transilire metas suas“29. Im Konfliktfall
hatte der homo privatus den Gottesgehorsam vor den Menschengehor-
sam zu stellen, da Gott nicht auf sein Recht zugunsten menschlicher Au-
torität verzichtete30. Damit war keine Berechtigung zur Gewaltanwen-
dung verbunden, wohl aber die nachdrückliche Forderung, den Glau-
ben mutig zu bekennen. Dem einzelnen Christen ohne amtliches Man-
dat blieb als Waffe nur das Gebet und die Bitte um Gottes Hilfe, von
der Calvin allerdings überzeugt war, daß sie in großer Verfolgungsnot
rasch eintreten werde31.
Möglichkeiten für eine rechtlich zulässige Abwehr von Willkürakten
des Fürsten hat Calvin nur im Rahmen des ständisch gegliederten Staa-
tes mit Zwischengewalten zwischen Herrscher und Untertan gesehen32.
In vorsichtigen Formulierungen erkannte er an, daß es nach dem Muster
der spartanischen Ephoren, attischen Demarchen und römischen
Volkstribunen auch in den Staaten der Gegenwart „magistratus populä-
res“ gäbe, die als „populi . . . libertatis tutores“ eingesetzt worden seien
und die sich mit den drei Ständen identifizieren ließen, wie sie in einigen
Königreichen existierten33. Der Ursprung ihrer Legitimation blieb al-
lerdings offen. Vertragsrecht und obligatio mutua wurden nicht erörtert.
Entsprechend ihrer Aufgabe zur Sicherung der Freiheit des Volkes und
„ad moderandam regum libertatem“, hatten nach Calvins Konzept die
magistratus populäres gegen unrechtmäßiges Handeln des Fürsten ein-
29 Inst. III 10.6.
30 Vgl. Inst. IV 20.32.
31 Vgl. z. B. CR Opp. 18, 436f. (an die Gemeinde in Aix-en-Provence).
32 Nürnberger (s. Anm. 16), 23 weist unter Berufung auf Haußherr und Cheneviere dar-
auf hin, daß die Erwähnung des ständischen Widerstandsrechts in der Institutio „keine
andere Bedeutung als die einer Randbemerkung hat“. Dagegen hat G. Gloede, Cal-
vin. Weg und Werk (Leipzig 1953), 139 eingewendet, daß die Institutio als das Kom-
pendium der theologischen Lebensernte Calvins nicht mit einer bloßen Randbemer-
kung schließen könne. — Calvin hat fraglos nicht nur beiläufig auf eine nebensächliche
Lösungsmöglichkeit des Widerstandsrechts aufmerksam machen wollen; richtig ist
aber, daß sich das spätere monarchomachische Lehrgebäude nicht auf diesen Ausfüh-
rungen aufrichten ließ. Wolzendorff (s. Anm. 5), 97 hat denn auch zu Recht bemerkt,
daß die protestantischen Monarchomachen sich „kaum je“ auf diese Stelle der Institu-
tio bezogen haben.
33 Vgl. Inst. IV 20.31: „Et qua etiam forte potestate [wie die antiken Amtsträger], ut
nunc res habent, funguntur in singulis regnis tres ordines“.
Eike Wolgast
Aufruhr und führte nur zur Anarchie; auch die ungerechte Obrigkeit
blieb von Gott eingesetzt. Zur Eigenaktivität war der einfache Unter-
tan nicht berechtigt, sofern er nicht eine besondere vocatio dei besaß:
„Nec quisquam propria temeritate impulsus plus tentabit quam ferat sua
vocatio, quia seiet fas non esse transilire metas suas“29. Im Konfliktfall
hatte der homo privatus den Gottesgehorsam vor den Menschengehor-
sam zu stellen, da Gott nicht auf sein Recht zugunsten menschlicher Au-
torität verzichtete30. Damit war keine Berechtigung zur Gewaltanwen-
dung verbunden, wohl aber die nachdrückliche Forderung, den Glau-
ben mutig zu bekennen. Dem einzelnen Christen ohne amtliches Man-
dat blieb als Waffe nur das Gebet und die Bitte um Gottes Hilfe, von
der Calvin allerdings überzeugt war, daß sie in großer Verfolgungsnot
rasch eintreten werde31.
Möglichkeiten für eine rechtlich zulässige Abwehr von Willkürakten
des Fürsten hat Calvin nur im Rahmen des ständisch gegliederten Staa-
tes mit Zwischengewalten zwischen Herrscher und Untertan gesehen32.
In vorsichtigen Formulierungen erkannte er an, daß es nach dem Muster
der spartanischen Ephoren, attischen Demarchen und römischen
Volkstribunen auch in den Staaten der Gegenwart „magistratus populä-
res“ gäbe, die als „populi . . . libertatis tutores“ eingesetzt worden seien
und die sich mit den drei Ständen identifizieren ließen, wie sie in einigen
Königreichen existierten33. Der Ursprung ihrer Legitimation blieb al-
lerdings offen. Vertragsrecht und obligatio mutua wurden nicht erörtert.
Entsprechend ihrer Aufgabe zur Sicherung der Freiheit des Volkes und
„ad moderandam regum libertatem“, hatten nach Calvins Konzept die
magistratus populäres gegen unrechtmäßiges Handeln des Fürsten ein-
29 Inst. III 10.6.
30 Vgl. Inst. IV 20.32.
31 Vgl. z. B. CR Opp. 18, 436f. (an die Gemeinde in Aix-en-Provence).
32 Nürnberger (s. Anm. 16), 23 weist unter Berufung auf Haußherr und Cheneviere dar-
auf hin, daß die Erwähnung des ständischen Widerstandsrechts in der Institutio „keine
andere Bedeutung als die einer Randbemerkung hat“. Dagegen hat G. Gloede, Cal-
vin. Weg und Werk (Leipzig 1953), 139 eingewendet, daß die Institutio als das Kom-
pendium der theologischen Lebensernte Calvins nicht mit einer bloßen Randbemer-
kung schließen könne. — Calvin hat fraglos nicht nur beiläufig auf eine nebensächliche
Lösungsmöglichkeit des Widerstandsrechts aufmerksam machen wollen; richtig ist
aber, daß sich das spätere monarchomachische Lehrgebäude nicht auf diesen Ausfüh-
rungen aufrichten ließ. Wolzendorff (s. Anm. 5), 97 hat denn auch zu Recht bemerkt,
daß die protestantischen Monarchomachen sich „kaum je“ auf diese Stelle der Institu-
tio bezogen haben.
33 Vgl. Inst. IV 20.31: „Et qua etiam forte potestate [wie die antiken Amtsträger], ut
nunc res habent, funguntur in singulis regnis tres ordines“.