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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0027
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Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

25

3.
Die Diskussion über das Widerstandsrecht ist in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts sehr rasch über Luthers und Calvins Vorstellungen
hinausgegangen, da diese den veränderten Bedingungen der konfessio-
nellen Auseinandersetzungen nicht mehr gerecht zu werden schienen.
Das lutherisch geprägte Widerstandsrecht ist 1550/51 neu formuliert
und erweitert worden, als die Magdeburger Theologen unter der Füh-
rung Nikolaus von Amsdorfs im Kampf gegen Kaiser und Interim den
aktiven Widerstand gegen obrigkeitliche Befehle in der causa religionis
für rechtmäßig erklärten. Bei Anordnungen gegen Gottes Gebote über-
schritt die Obrigkeit „jhr befohlen Ampt“, woraus folgte, „daß uns und
den Christen von der Obrigkeit kein Ungehorsam noch Rebellion kan
aufferlegt noch zugemessen werden, wider Gott zu gehorsamen“39. Die
Magdeburger unterschieden zwischen vier Arten unrechtmäßiger Be-
fehle, auf die der magistratus inferior jeweils anders zu reagieren hatte:
1. Obrigkeitliches Fehlverhalten in „geringen und liederlichen Sachen“
- kein Recht zu gewaltsamer Abwehr.
2. „Große und öffentliche Gewalt“ des magistratus superior - Möglich-
keit zur Gegenwehr, aber keine Empfehlung der Theologen dazu.
3. Zwang zu „gewissen Sünden“ - Recht zur Gegenwehr, aber nur,
Propaganda e pensiero politico in Francia durante le guerre di religione Bd. 1 (1559-
1572) (Neapel 1959), 3Iff. 70ff. Zur politischen Organisation der Hugenotten vgl. L.
Romier, Le Royaume de Catherine de Medicis Bd. 2 (Paris 1925), 188ff.; H. G. Koe-
nigsberger, The Organization of revolutionary parties in France and the Netherlands
during the sixteenth Century. In: Journal of Modern History 27/1955, 336ff. Vgl. auch
Bezas Bericht an Bullinger, 12. Sept. 1559 über die Stimmung der französischen Pro-
testanten: „Saepe consulimur, an liceat adversus istos non tantum religionis, sed etiam
regni hostes insurgere, quum praesertim secundum leges nulla sit adhuc penes regem
ipsum authoritas, qua illi niti possint. Neque enim desunt multi Scaevolae, qui certa
etiam morte parati sint veram libertatem redimere, si iusta vocatio appareat. Nos hac-
tenus respondimus precibus et patientia superandam esse tempestatem. . . . Huie con-
silio adhuc paruerunt“ (Correspondance de Theodore de Beze Bd. 3, Genf 1963, 21).
39 Der von Magdeburg Ausschreiben an alle Christen Anno 1550 den 24. März; Hortle-
der, Rechtmäßigkeit IV cap. 6 (1052); zur Magdeburger politischen Theologie vgl. H.
Chr. von Hase, Die Gestalt der Kirche Luthers (Göttingen 1940), 90ff.; O. K. Olson,
Theology of Revolution: Magdeburg, 1550-1551. In: Sixteenth Century Journal 3/
1972, 56ff., bes. 67ff. Nikolaus von Amsdorf ist schon 1523 im Gegensatz zu Luther
unumwunden für ein Widerstandsrecht der Landesfürsten und sogar für ein Interven-
tionsrecht eingetreten; vgl. Wolgast (s. Anm. 16) 107f. sowie R. Kolb, Nikolaus von
Amsdorf (1483-1565). Populär Polemics in the Preservation of Luther’s Legacy
(Nieuwkoop 1978), 33f.
 
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