Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts
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die „geschriebenen keyserlichen Rechte“ wurde nur nebenher verwie-
sen. Wichtiger als diese Verschiebung der Argumentationsbasis war
aber die Ausweitung des Kreises der zu Widerstand Berechtigten. Die
Wittenberger Theologen hatten nur den Reichsständen als Territorial-
herren auf Grund ihrer Stellung im Rahmen der Reichsverfassung eine
eigenständige Legitimität zuerkannt, in Magdeburg wurde ohne weitere
Differenzierung lediglich zwischen glaubensverfolgender „hoher Obrig-
keit“ und gottesfürchtiger „unterer Obrigkeit“ unterschieden. Die
reichs- oder territorialverfassungsrechtliche Stellung des magistratus in-
ferior blieb dabei unberücksichtigt. Die Konfliktaufzählung: Kaiser ge-
gen Fürst, Fürst gegen Stadt43, zeigte sogar ausdrücklich, daß nicht nur
Reichsständen ein Widerstandsrecht zustehen sollte; auch von „der al-
ler wenigsten Obrigkeit“44 wurde erwartet, daß sie ihre Untertanen ge-
gen den tyrannischen magistratus superior schützte. Jeder Amtsträger
mit Verantwortung für andere, in welchem Rechtsverhältnis er auch
stand, war Obrigkeit mit der Pflicht, notfalls gewaltsam für die ihm An-
vertrauten einzutreten. Was die Wittenberger nie erwogen hatten, wur-
de damit in Magdeburg proklamiert, das Widerstandsrecht auch des
Landstandes. Ein Widerstandsrecht des homo privatus haben allerdings
auch die Magdeburger ausgeschlossen.
Der neue Ansatz der Magdeburger Lehre vom Widerstandsrecht je-
des magistratus inferior unbeschadet seiner rechtlichen Stellung ist in
Deutschland nicht weitergeführt worden. Durch die Festlegung des
konfessionellen Territorialprinzips im Augsburger Religionsfrieden
wurde die causa religionis zur Landessache und verlor damit an Spreng-
kraft für die Reichspolitik. Luthers Zugeständnis eines Widerstands-
rechts an die Fürsten erledigte sich mit dem Verzicht der Reichsspitze,
in Religionssachen Anordnungen zu treffen und Gehorsam zu verlan-
gen; das Magdeburger Recht des magistratus inferior blieb in den deut-
schen Territorien ohne weiterführende Wirkung, da die reichsrechtliche
Zuerkennung des ius emigrandi an die Untertanen im Augsburger Reli-
gionsfrieden eine Zuspitzung der innerterritorialen konfessionellen Ge-
gensätze bis zu dem Punkt, an dem nur noch eine Bartholomäusnacht
oder ein Bürgerkrieg eine Lösung hätte herbeiführen können, verhin-
derte. Der Augsburger Religionsfrieden und der durch ihn garantierte
konfessionelle Föderalismus im Reich entzog der Erörterung des Wi-
derstandsrechts in Deutschland die aktuelle Grundlage.
43 Vgl. ebd., 1075.
44 Ebd., 1079.
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die „geschriebenen keyserlichen Rechte“ wurde nur nebenher verwie-
sen. Wichtiger als diese Verschiebung der Argumentationsbasis war
aber die Ausweitung des Kreises der zu Widerstand Berechtigten. Die
Wittenberger Theologen hatten nur den Reichsständen als Territorial-
herren auf Grund ihrer Stellung im Rahmen der Reichsverfassung eine
eigenständige Legitimität zuerkannt, in Magdeburg wurde ohne weitere
Differenzierung lediglich zwischen glaubensverfolgender „hoher Obrig-
keit“ und gottesfürchtiger „unterer Obrigkeit“ unterschieden. Die
reichs- oder territorialverfassungsrechtliche Stellung des magistratus in-
ferior blieb dabei unberücksichtigt. Die Konfliktaufzählung: Kaiser ge-
gen Fürst, Fürst gegen Stadt43, zeigte sogar ausdrücklich, daß nicht nur
Reichsständen ein Widerstandsrecht zustehen sollte; auch von „der al-
ler wenigsten Obrigkeit“44 wurde erwartet, daß sie ihre Untertanen ge-
gen den tyrannischen magistratus superior schützte. Jeder Amtsträger
mit Verantwortung für andere, in welchem Rechtsverhältnis er auch
stand, war Obrigkeit mit der Pflicht, notfalls gewaltsam für die ihm An-
vertrauten einzutreten. Was die Wittenberger nie erwogen hatten, wur-
de damit in Magdeburg proklamiert, das Widerstandsrecht auch des
Landstandes. Ein Widerstandsrecht des homo privatus haben allerdings
auch die Magdeburger ausgeschlossen.
Der neue Ansatz der Magdeburger Lehre vom Widerstandsrecht je-
des magistratus inferior unbeschadet seiner rechtlichen Stellung ist in
Deutschland nicht weitergeführt worden. Durch die Festlegung des
konfessionellen Territorialprinzips im Augsburger Religionsfrieden
wurde die causa religionis zur Landessache und verlor damit an Spreng-
kraft für die Reichspolitik. Luthers Zugeständnis eines Widerstands-
rechts an die Fürsten erledigte sich mit dem Verzicht der Reichsspitze,
in Religionssachen Anordnungen zu treffen und Gehorsam zu verlan-
gen; das Magdeburger Recht des magistratus inferior blieb in den deut-
schen Territorien ohne weiterführende Wirkung, da die reichsrechtliche
Zuerkennung des ius emigrandi an die Untertanen im Augsburger Reli-
gionsfrieden eine Zuspitzung der innerterritorialen konfessionellen Ge-
gensätze bis zu dem Punkt, an dem nur noch eine Bartholomäusnacht
oder ein Bürgerkrieg eine Lösung hätte herbeiführen können, verhin-
derte. Der Augsburger Religionsfrieden und der durch ihn garantierte
konfessionelle Föderalismus im Reich entzog der Erörterung des Wi-
derstandsrechts in Deutschland die aktuelle Grundlage.
43 Vgl. ebd., 1075.
44 Ebd., 1079.