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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0057
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Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

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kaum noch vor. Kriterium der Tyrannenbeseitigung ist für ihn die Be-
drohung von „salus publica“ und „religionis sanctitas“. „Quis erit tarn
inops consilii, qui non confiteatur tyrannidem excutere fas fore iure, le-
gibus et armis?“122. Die Feststellung der Tyrannis und die Absetzung
des Fürsten obliegt der respublica, genauer: dem publicus conventus der
Stände als Vertragspartner des Herrschers; die These Bouchers und
Rossaeus’ vom Urteilsrecht der Kirche hat Mariana nicht übernommen.
Bei Verhinderung einer Ständezusammenkunft darf das Widerstands-
recht auch vom Einzelnen ausgeübt werden. Die Gefahr, daß auf Grund
der mönarchomachischen Lehren ein Fürst nach subjektivem Ermessen
des Einzelnen als vermeintlicher Tyrann getötet wird, verneint Maria-
na: „Neque . . . id [sc. fas tyrannum perimere] in cuiusquam privati arbi-
trio ponimus, non in multorum, nisi publica vox populi adsit, viri eruditi
et graves in consilium adhibeantur“123. Die Zustimmung der „publica
vox populi“ entsprach dem Abfall des Volkes vom tyrannischen Herr-
scher bei Boucher, bei den „viri eruditi et graves“ hat Mariana offenbar
an die „officiarii regni“ der mönarchomachischen Literatur gedacht.
Zeitgenössische Gegner verdächtigten ihn allerdings, hier den Jesuiten
eine besondere Rolle zuzudenken.
Um die Polemik gegen den Orden, die sich an den - zweckdienlich
vergröberten - Erörterungen Marianas entzündete, abzufangen, hat
1610 der Jesuitengeneral Aquaviva den Ordensangehörigen bei Strafe
der Exkommunikation verboten zu lehren „licitum esse cuicumque per-
sonae quocumque praetextu tyrannidis reges aut principes occidere seu
mortem eis machinari“124. Im übrigen hat Mariana selbst für seine Lö-
sungsvorschläge zur Frage der Tyrannentötung keinen Absolutheitsan-
spruch erhoben, indem er feststellte: „Haec nostra sententia est a synce-
ro animo certe profecta, in qua cum falli possim ut humanus, si quis me-
liora attulerit, gratias habeam“125.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hat dann Johannes Althusius die
Summe der Debatten des 16. Jahrhunderts gezogen und das Problem
von Tyrannis und Widerstandsrecht in seiner „Politica methodice dige-
sta“ systematisch-abstrakt erörtert126 - übersichtlich gegliedert nach
122 De rege I 6 (p. 62). 123 Ebd., I. 6 (p. 60).
124 Zit. nach Llorens (s. Anm. 121), 412 Anm. 147. — Einen Schutz gegen die Lehre vom
Tyrannenmord, derzufolge vom Papst exkommunizierte oder abgesetzte Fürsten von
jedermann vertrieben und getötet werden durften, sollte auch der 1605 eingeführte
Huldigungseid auf Jakob I. von England bieten.
125 De rege I 6 (p. 63).
126 Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, 1. Aufl. Her-
born 1603; nach der dritten erweiterten Ausgabe Herborn 1614 hrsg. von C. J. Fried-
 
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