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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0100
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Albrecht Dihle

zeitsfest. Außerdem aber bezieht sich Antigone V. 1675 mit dem Aus-
druck vü^ ekeivt) auf die ihr zugedachte Brautnacht, und das läßt an ei-
ne nicht derart nahe Zukunft denken. Freilich spielen diese Erwägun-
gen zur Wahrscheinlichkeit der Zeiteinteilung und des Zeitablaufs eine
vergleichsweise geringe Rolle, wenn die Verse für eine isoliert aufge-
führte Szene gestaltet sind, der Zuschauer also kaum die Zeitverhältnis-
se nachrechnen und sich darüber klar sein wird, daß dieses Gespräch
nach Ablauf eines langen Kampftages stattfindet. Die Scholien, die die-
se Verse als Bestandteil des Gesamtdramas interpretieren müssen, hel-
fen sich damit, daß sie ioüootv ppcpav gegen den sonst bezeugten
Sprachgebrauch als Eioioüoav oder ejiloüooiv ppEpctv deuten, und ent-
sprechendes gilt für die Urheber der variae lectiones. Auch der Aus-
druck EKstvT] vu^ (1675) verliert in der „Zeitlosigkeit“ einer Auffüh-
rung, die nur eine Einzelszene auf die Bühne bringt und darum den Ab-
lauf einer Kette von Ereignissen den Zuschauern nicht recht ins Be-
wußtsein rückt, seine eindeutig zeitliche Konnotation. Das Demonstra-
tivum qualifiziert dann nur noch jene Nacht als jene besondere Nacht,
deren Bedeutung allen bekannt ist.
Kreons Begründung für das Verbot, Polyneikes zu bestatten, lautet in
fast epigrammatischer Zuspitzung (1652) eltteq yE irökEcog E/Opög pv
oük E/öpög d)v „wo er doch gegen die Stadt im Felde stand, ohne ihr
(geborener) Feind zu sein.“
Merkwürdig ist hier, daß das Spiel mit den beiden Bedeutungen des
Wortes s/Opog nicht durch die Gegenüberstellung der Verben elvcu
und YEVSO0OU verdeutlicht wird. Von den Gefallenen heißt es auf Grab-
inschriften stets otvpp dyaöög yEvopsvog äncOavE, niemals otvpp
äyaöög wv, denn nur die durch bewußtes Tun erworbene Qualität,
nicht aber die angeborene Eigenschaft verdient den Ruhm. Wir würden
an der o. g. Stelle also eher etwa die folgende Formulierung erwarten:
6tX.X’ sysvEx’ E/Opög xp jiöXei y’ oük s/Opög wv. Aber wie die Verse nun
einmal überliefert sind, kann man sie wohl nur als eine fast oxymorische
Bezeichnung des Landesverräters verstehen: Er ist zu derselben Zeit
ein Landesfeind, ohne dieses doch im üblichen, nur für den Landes-
fremden geltenden Sinn zu sein.
Antigone antwortet auf diese Begründung mit einem gleichfalls
merkwürdigen Raisonnement ovkoüv eöcdke xp xiryp xöv öcüpova „er
überließ seinen Daimon nicht der Tyche“. Tu/p und öaiporv als Deter-
minanten für das Ergehen eines Menschen werden auch noch im
Sprachgebrauch des 4. Jh. v. C. durchweg als einander zugeordnet,
nicht als entgegengesetzt bezeichnet. Einerlei, ob xü/p, wie oft in älte-
 
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