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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0022
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Martin Hengel

Für den ältesten außerneutestamentlichen Zeugen dieses Sprach-
gebrauchs, den Märtyrerbischof Ignatius um HO, ist es bezeichnend,
daß es sich bei ihm nicht immer mit völliger Sicherheit entscheiden
läßt, ob er εύαγγέλιον im Sinne der viva vox der Christusverkün-
digung, der Jesusüberlieferung oder einer Evangelienschrift versteht.
Am stärksten tritt der Schriftcharakter im Smyrnäerbrief 5,1 hervor:
Die Gegner konnten bisher „weder die prophetischen Weissagungen noch
das Gesetz Moses, aber auch nicht bis jetzt das Evangelium überzeugen“43.
Ähnlich Smymäer 7,2:
„daher ziemt es sich, ... (sich) den Propheten zuzuwenden, besonders aber
dem Evangelium, in dem das Leiden uns kundgetan und die Auferstehung
vollendet worden ist“44.
Ignatius kennt sicher das Matthäusevangelium und wahrscheinlich
auch das des Johannes45, aber das Evangelium als Heilsbotschaft ist
für ihn noch nicht fest an die Schriftform gebunden, es bildet viel-
mehr eine lebendige Einheit, deren Mitte in der Passion Jesu liegt.
Über die Verfasser der Evangelien verliert er kein Wort.
Wohl etwa gleichzeitig mit Papias, d.h. zur Zeit Hadrians (117-138),
finden wir die Kenntnis der drei Evangelien Mt, Lk und Joh wahr-
scheinlich schon bei Basilides, dem ersten großen, gnostischen Theo-
logen in Alexandrien, der - vermutlich eklektisch - ein eigenes Evan-
gelium schrieb und dazu den ersten uns bekannten Evangelienkom-
mentar mit 24 Büchern verfaßte46.
43 ούκ έπεισαν αί προφητεΐαι ούδέ ό νόμος Μωϋσέως, άλλ’ ούδέ μέχρι νυν τό εύαγγέ-
λιον.
44 πρέπον οΰν έστϊν ... προσέχειν δε τοΐς προφήταις, έξαιρέτως δε τω εύαγγελίω,
έν ω το πάϋος ήμΐν δεδήλωται και ή άνάστασις τετελείωται.
45 Vgl. Mt 3,15 = Smyr 1,1; Mt 10,16/Lk 6,32 = Pol 2,lf.; Mt 19,12 = Smyr 6,1, dazu
E. Massaux, Influence de l’Evangile de saint Matthieu sur la litterature chretienne
avant saint Irenee, 1950, 94ff.l33f.; Joh 3,8 = Phil 7,1; Joh 4,10ff. u. 7,38f. -
Röm 7,2; Joh 6,33 = Röm 7,3; vgl. op. cit. 112ff. und W. v. Loewenich, op. cit.
(Anm. 19) 25ff. „Die geistige Verwandtschaft scheint durch literarische Bekannt-
schaft verstärkt zu sein“ (38).
46 Zu den Quellen und seiner Lehre s. E. Mühlenberg, Art. Basilides, TRE 5, 1980,
296ff. Das Evangelium ist für Basilides größer als ή των ύπερκοσμίων γνώσις
(Hippolyt, haer. 7,27,7), und mit der Gnosis im Grunde identisch; es steigt in Stufen
vom Himmel herab bis zu Jesus, s. haer. 7,23-26 und 27,6-13. Zum Evangelium
nach Basilides s. Origenes (Anm. 39). Über die bekannten Evangelien hinaus
berief sich Basilides (bzw. seine Schüler) auf geheime Offenbarungen, die auf den
Apostel Matthias (haer. 7,20,1) und auf Glaukias, einen angeblichen Dolmetscher
des Petrus (Clem. ström. 7,106,4), zurückgehen. M.E. setzt er hier die Kenntnis
 
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