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Hengel, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 3. Abhandlung): Die Evangelienüberschriften: vorgetragen am 18. Oktober 1981 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47814#0036
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Martin Hengel

Darstellung eines geordneten frühchristlichen Gottesdienstes bei
Justin76:
„Am sogenannten Sonntag versammeln sich alle, die in Städten oder auf dem
Lande wohnen an einem Ort, und es werden die Erinnerungen der Apostel
oder die Schriften der Propheten verlesen bis (die Zeit) abgelaufen ist.
Nachdem der Vorleser geendet hat, gibt der Vorsteher durch eine Rede die
Ermahnung und Aufforderung zur Nachahmung dieser guten Dinge“.
Der Wortgottesdienst erscheint hier als festgefügte Institution, die un-
mittelbar aus dem Synagogengottesdienst herausgewachsen ist. Auf-
fallend ist dabei, daß die Evangelienlesung vor den Propheten ge-
nannt wird, sie ist gewissermaßen in ihrer Bedeutung an die Stelle
der jüdischen Thoralesung getreten. Auch wenn wir keine eindeutige
Schilderung der gottesdienstlichen Lesung vor Justin mehr besitzen,
so haben wir doch deutliche Hinweise, daß es sie schon sehr viel
früher gab. Über das, was in den frühchristlichen Gemeinden ganz
selbstverständlich geschah, wird in der uns erhaltenen Literatur oft
gar nicht oder nur am Rande berichtet. Wäre es in Korinth nicht
zu Mißständen bei der Abendmahlsfeier gekommen, würden wir an-
nehmen, daß Paulus dasselbe in seinen Gemeinden überhaupt nicht
gefeiert habe. In ähnlicher Weise bleibt die Schriftlesung im ur-
christlichen Gottesdienst im Dunkeln, weil sie nicht in Frage gestellt
wurde. Paulus verwendet in seinen großen Briefen das Alte Testa-
ment - genauer die LXX - in einer Weise, die ihre ständige Lesung
im Gottesdienst wie auch die Anerkennung ihrer Autorität ganz
selbstverständlich voraussetzt. Einen deutlichen Hinweis auf die Ab-
folge von Schriftlesung und Predigt besitzen wir einige Jahrzehnte vor
Justin in 2. Clem. 19,1' . Doch schon früher, um 100 n. Chr., ist
Jerusalem ist die sog. „hellenistische Gemeinde“ herausgewachsen. Sie hat m.E.
von Anfang an die Schriftlesung im Gottesdienst gekannt. Vgl. dazu Μ. Hengel,
Zwischen Jesus und Paulus, ZThK 72 (1975) 151-206 (184ff.). Vgl. o. Anm. 72.
76 Apol I 67,3. Zur Schriftlesung im frühen Christentum s. P. Glaue, Die Verlesung
heiliger Schriften im Gottesdienst I, 1907, passim; R. Knopf, Das nachapostolische
Zeitalter, 1905, 233-236; J. Leipoldt/S. Morenz, Heilige Schriften, 1953, 106ff.
112f. Die Folgerungen, die Leipoldt aus der späten Bezeugung der Schriftlesung
zieht, sind freilich abwegig; vgl. auch K. Aland, Studien zur Überlieferung des
Neuen Testaments und seines Textes, ANTT 2, 1967, 29: Die Verlesung einer
Schrift erfolgte vermutlich zunächst einmal im Gottesdienst der Gemeinde, in der
der Vf. lebte; wurde sie dort anerkannt, erfolgte auch eine weitere Verbreitung.
77 Vgl. 17,3f. den Hinweis auf die Predigt und dazu R. Knopf, Die Anagnose zum
zweiten Clemensbrief ZNW 3 (1902) 266-279; dagegen K. P. Donfried, The Setting
of Second Clement in Early Christianity, NT.S 38, 1974, 55f. Donfried setzt frei-
lich 2. CI im Anschluß an 1. CI mindestens 20 Jahre zu früh an. S. 89 weist
 
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