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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0060
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Gottfried Seebass

handelt nicht, er ‘sieht und schläft’ und empfängt auf diese Weise
Gottes Wort. Und darin ist der Erzvater Vorbild der Christen, der
Gläubigen. Im Anschluß daran deutet Luther die auf- und niederstei-
genden Engel als Prediger des Wortes Gottes, seine Boten. Und daß sie
sich auf der Leiter befinden, ist ihm ein Hinweis darauf, daß es sich um
Prediger handelt, die von Christus gelehrt sind und ihn lehren.92 Das
war eine Auslegung, die Luther schon bei Gregor fand und die eine
Deutung der Leitersprossen auf die Gnadenmittel, Wort und Sakra-
ment, nahelegte.93 Luther hat zwar dann gelegentlich auch die Engel
der Jakobsleiter als schützende Mächte im Tode verstanden94 95, kam
später aber in seiner großen Genesisvorlesung seit 1535 auf die andere
Deutung zurück. Aufstieg und Abstieg werden von ihm nun im drei-
fachen Sinn allegorisch gedeutet; zunächst auf die Verbindung
zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn, weiter auf die Verbin-
dung der Gottheit und Menschheit in Christus. Die aufsteigenden
Engel sehen den von Ewigkeit geborenen Sohn Gottes, die absteigen-
den den in der Zeit aus Maria geborenen. Das bezeichnet Luther aus-
drücklich als ‘principalis et propria interpretatio’. Er betont: „Haec
omnia fecit, pro nobis, descendit ad inferos, et ascendit ad coelos.“
Schließlich aber wird die Leiter auch auf die Verbindung der Gläubi-
gen mit Christus gedeutet: „Ipse descendit ad nos per verbum et Sacra-
menta docendo et exercendo nos in sui cognitione.“9:> Und in diesem
Zusammenhang erwähnt Luther auch Bernhard von Clairveaux und
Bonaventura, die beide die ‘Inkarnation Christi geliebt’ hätten.96 Des-
wegen ist Luthers Deutung nicht einfach neu gegenüber der Tradition.
Vielmehr konnte er in einer traditionskritischen Rückwendung an die
allegorisch-christologische Interpretation des Mittelalters anschließen
und mit ihr die eigene theologische Konzeption verbinden. So ist die
mittelalterlich-christologisch interpretierte Jakobsleiter zur Voraus-
setzung der reformatorischen Neufassung der Himmelsleiter ge-
worden.

92 Vgl. WA 9, S. 318f; 494f.
93 Vgl. WA 43, S. 578,10-18.
94 Vgl. WA 14, S. 382 f (Predigten über 1. Mose, 1523/24) u. WA 24, S. 494 f (Predigten
über 1. Mose, 1527).
95 Vgl. WA 43, S. 578,41-581,10; 582,18-29.
96 WA 43, S. 581,11 ff.
 
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