Die Epochenschwelle von 1912
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überbietenden Vollbringungen der technischen Zivilisation und ein
geradezu gläubiges Vertrauen auf ihre noch großartigere Zukunft
bestimmen den Grundtenor der Tableaux parisiens von 1912! Nicht
genug, daß das Schöne provokativ im Tagesablauf der arbeitenden
Massen als ‘Anmut’ einer neuen Straße im Industriegebiet der Stadt
entdeckt wird (v. 15-24)! Die Euphorie der Weltbejahung steigert sich
hinauf zu einer Phantasmagorie der Moderne, die den Eingangsvers:
La religion seule est restée toute neuve mit einer Vision des wie ein Flug-
zeug aufsteigenden 20. Jahrhunderts einlöst. Der Christus dieser
Moderne, erst noch in einer Litanei der Prädikate seiner alten Ver-
ehrung glorifiziert, schlägt in seiner neuen Himmelfahrt alle Höhen-
rekorde und eröffnet den Horizont eines neuen Himmels, in dem sich
- wie einst in der Predigt des Hl. Franziskus - Vögel aller Breiten und
ältester Mythen mit der fliegenden Maschine verbrüdem (v. 42-70).
Doch diese kühne Profanisierung des in die Bewegung der
Moderne mitgerissenen katholischen Glaubens ist kaum blasphe-
misch gemeint. Vielmehr zeigt sich in den dialektischen Bildern und
Phantasmen auch schon die Wiederkehr des eingangs verworfenen
monde ancien an. Die in blanker Negation erst verleugnete Vorzeit
kehrt wieder, doch nun in mythischer, nicht in geschichtlicher Gestalt.
Was in der Stunde Null der Gegenwart in toto als Horizont und Auto-
rität des Vergangenen Zurückbleiben soll, bevölkert hernach in zahlrei-
chen Gestalten unbefragter Geltung den imaginären Horizont der
modernen Welt: der alte und der neue Adam, Propheten, Simon
Magus, Lazarus, nicht zuletzt aber der Turmbau zu Babel und das
Pflngstereignis. So tritt alles Moderne, was in Zone erscheint, ins Licht
mythischer Perspektiven. Diese aber haben „ihre verborgene Achse
im Mythos des Turmbaus von Babel als dem Urmythos der Entfrem-
dung und dem Pfingstmythos als dem Mythos der Aufhebung der Ent-
fremdung“5. Es ist das Grundthema von Tod und Wiedergeburt des
Universums, das schon die frühere Dichtung Apollinaires durchzog.
Dort war es (neben Merlin) die mythische Gestalt des Sängers
Orpheus, der antike Vorgänger des in Zone allgegenwärtigen Christus,
der angesichts des Todes, ‘im Anblick dessen, was ihn flieht’, die Poe-
sie als Möglichkeit der Auferstehung und der Wiedergeburt der ver-
lorenen Welt entdeckt6. Auch der prononcierte Modernismus von
Zone hat dieses Urmodell nicht ganz außer Kraft zu setzen vermocht.
5 K. Stierte, in: UTB 1191, S. 98.
6 Ph. Renaud (1969), S. 101-111.
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überbietenden Vollbringungen der technischen Zivilisation und ein
geradezu gläubiges Vertrauen auf ihre noch großartigere Zukunft
bestimmen den Grundtenor der Tableaux parisiens von 1912! Nicht
genug, daß das Schöne provokativ im Tagesablauf der arbeitenden
Massen als ‘Anmut’ einer neuen Straße im Industriegebiet der Stadt
entdeckt wird (v. 15-24)! Die Euphorie der Weltbejahung steigert sich
hinauf zu einer Phantasmagorie der Moderne, die den Eingangsvers:
La religion seule est restée toute neuve mit einer Vision des wie ein Flug-
zeug aufsteigenden 20. Jahrhunderts einlöst. Der Christus dieser
Moderne, erst noch in einer Litanei der Prädikate seiner alten Ver-
ehrung glorifiziert, schlägt in seiner neuen Himmelfahrt alle Höhen-
rekorde und eröffnet den Horizont eines neuen Himmels, in dem sich
- wie einst in der Predigt des Hl. Franziskus - Vögel aller Breiten und
ältester Mythen mit der fliegenden Maschine verbrüdem (v. 42-70).
Doch diese kühne Profanisierung des in die Bewegung der
Moderne mitgerissenen katholischen Glaubens ist kaum blasphe-
misch gemeint. Vielmehr zeigt sich in den dialektischen Bildern und
Phantasmen auch schon die Wiederkehr des eingangs verworfenen
monde ancien an. Die in blanker Negation erst verleugnete Vorzeit
kehrt wieder, doch nun in mythischer, nicht in geschichtlicher Gestalt.
Was in der Stunde Null der Gegenwart in toto als Horizont und Auto-
rität des Vergangenen Zurückbleiben soll, bevölkert hernach in zahlrei-
chen Gestalten unbefragter Geltung den imaginären Horizont der
modernen Welt: der alte und der neue Adam, Propheten, Simon
Magus, Lazarus, nicht zuletzt aber der Turmbau zu Babel und das
Pflngstereignis. So tritt alles Moderne, was in Zone erscheint, ins Licht
mythischer Perspektiven. Diese aber haben „ihre verborgene Achse
im Mythos des Turmbaus von Babel als dem Urmythos der Entfrem-
dung und dem Pfingstmythos als dem Mythos der Aufhebung der Ent-
fremdung“5. Es ist das Grundthema von Tod und Wiedergeburt des
Universums, das schon die frühere Dichtung Apollinaires durchzog.
Dort war es (neben Merlin) die mythische Gestalt des Sängers
Orpheus, der antike Vorgänger des in Zone allgegenwärtigen Christus,
der angesichts des Todes, ‘im Anblick dessen, was ihn flieht’, die Poe-
sie als Möglichkeit der Auferstehung und der Wiedergeburt der ver-
lorenen Welt entdeckt6. Auch der prononcierte Modernismus von
Zone hat dieses Urmodell nicht ganz außer Kraft zu setzen vermocht.
5 K. Stierte, in: UTB 1191, S. 98.
6 Ph. Renaud (1969), S. 101-111.