Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
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Alle vier Bedingungen trafen erstmals bei den Griechen zusammen,
als sie in das Zeitalter des Hellenismus eintraten.12 Diese geschichtli-
chen Umstände begünstigten zuerst eine geometrische Entdeckung,
die stereographische Projektion. Mit Zirkel und Lineal konnte man
Kreise und Punkte einer Kugelfläche unverzerrt und winkeltreu auf
eine Ebene übertragen, also Örter und Umläufe der Himmelskörper
auf Uhren, Plätze und Abstände der Erdoberfläche auf Karten
maßstäblich abbilden.
Wer auf diese geniale Idee gekommen war, wußte kein antiker Autor
zuverlässig anzugeben. Über die Mutmaßungen der Alten kommt auch
die moderne Forschung kaum hinaus. Sie denkt an den Geometer
Apollonios von Perge, um 210 vor Christus. Bei der Arbeit an seinem
Lehrbuch über ebene Schnitte von Kreiskegeln, das nur teilweise
erhalten ist, könnte er die stereographische Projektion entwickelt
haben. In Frage käme ferner der Astronom und Geograph Hipparchos
von Nikaia, der um 150 vor Christus die Himmelserscheinungen präzis
beobachtete.13
Durch Apollonios oder Hipparchos wurde das Astrolab ermöglicht,
noch nicht verwirklicht. Erfindungen gehen in die Geschichte nicht
schon ein, wenn einer sie macht, sondern erst, wenn viele sie brauchen.
Zunächst brauchte die Antike die stereographische Projektion bloß zur
Verbesserung von Sonnenuhren, sogar dazu anscheinend erst in der
Epoche Caesars und seiner Kalenderreform, die ein genau gezähltes
Sonnenjahr zur Grundlage öffentlichen Lebens bestimmte. Als der
Römer Vitruv, Zeitgenosse von Caesar und Augustus, um 15 vor
Christus in seinem Lehrbuch der Baukunst Hilfsmittel zur Zeitmessung
besprach, erwähnte er bei der Aufzählung von Sonnenuhren, daß
12 Zu Kreis und Kugel Schramm, Sphaira S. 1-12; Bennett, Circle S. 7-12. Zur
griechischen Götterordnung Waerden, Astronomie S. 40-75; zu den Kalender-
zyklen ebd. S. 76-92; zu den mathematischen Theorien ebd. S. 194-232. Zu den
Zeitvorstellungen Borst, Computus S. 4-7.
13 Waerden, Wissenschaft Bd. 1 S. 395-436 zu Apollonios, S. 297-302 abwägend zu
den Anfängen der stereographischen Projektion und des Astrolabs; doch siehe
unten Anm. 15. Hipparchos wird wie von Synesios (unten Anm. 21) hervorge-
hoben von Rudolf Wolf, Geschichte der Astronomie (1877) S. 160-166; Henry
C. King, Geared to the Stars. The Evolution of Planetariums, Orreries, and
Astronomical Clocks (1978) S. 15. Dagegen Michel, Traite S. 6. Nach Klaus
Mainzer, Geschichte der Geometrie (1980) S. 74 hätte erst Ptolemaios die
stereographische Projektion eingeführt; das glaube ich nicht.
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Alle vier Bedingungen trafen erstmals bei den Griechen zusammen,
als sie in das Zeitalter des Hellenismus eintraten.12 Diese geschichtli-
chen Umstände begünstigten zuerst eine geometrische Entdeckung,
die stereographische Projektion. Mit Zirkel und Lineal konnte man
Kreise und Punkte einer Kugelfläche unverzerrt und winkeltreu auf
eine Ebene übertragen, also Örter und Umläufe der Himmelskörper
auf Uhren, Plätze und Abstände der Erdoberfläche auf Karten
maßstäblich abbilden.
Wer auf diese geniale Idee gekommen war, wußte kein antiker Autor
zuverlässig anzugeben. Über die Mutmaßungen der Alten kommt auch
die moderne Forschung kaum hinaus. Sie denkt an den Geometer
Apollonios von Perge, um 210 vor Christus. Bei der Arbeit an seinem
Lehrbuch über ebene Schnitte von Kreiskegeln, das nur teilweise
erhalten ist, könnte er die stereographische Projektion entwickelt
haben. In Frage käme ferner der Astronom und Geograph Hipparchos
von Nikaia, der um 150 vor Christus die Himmelserscheinungen präzis
beobachtete.13
Durch Apollonios oder Hipparchos wurde das Astrolab ermöglicht,
noch nicht verwirklicht. Erfindungen gehen in die Geschichte nicht
schon ein, wenn einer sie macht, sondern erst, wenn viele sie brauchen.
Zunächst brauchte die Antike die stereographische Projektion bloß zur
Verbesserung von Sonnenuhren, sogar dazu anscheinend erst in der
Epoche Caesars und seiner Kalenderreform, die ein genau gezähltes
Sonnenjahr zur Grundlage öffentlichen Lebens bestimmte. Als der
Römer Vitruv, Zeitgenosse von Caesar und Augustus, um 15 vor
Christus in seinem Lehrbuch der Baukunst Hilfsmittel zur Zeitmessung
besprach, erwähnte er bei der Aufzählung von Sonnenuhren, daß
12 Zu Kreis und Kugel Schramm, Sphaira S. 1-12; Bennett, Circle S. 7-12. Zur
griechischen Götterordnung Waerden, Astronomie S. 40-75; zu den Kalender-
zyklen ebd. S. 76-92; zu den mathematischen Theorien ebd. S. 194-232. Zu den
Zeitvorstellungen Borst, Computus S. 4-7.
13 Waerden, Wissenschaft Bd. 1 S. 395-436 zu Apollonios, S. 297-302 abwägend zu
den Anfängen der stereographischen Projektion und des Astrolabs; doch siehe
unten Anm. 15. Hipparchos wird wie von Synesios (unten Anm. 21) hervorge-
hoben von Rudolf Wolf, Geschichte der Astronomie (1877) S. 160-166; Henry
C. King, Geared to the Stars. The Evolution of Planetariums, Orreries, and
Astronomical Clocks (1978) S. 15. Dagegen Michel, Traite S. 6. Nach Klaus
Mainzer, Geschichte der Geometrie (1980) S. 74 hätte erst Ptolemaios die
stereographische Projektion eingeführt; das glaube ich nicht.