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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0038
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Arno Borst

Drohung hing, schickten sie ihre lateinischen Opera vom Astrolab als
Weckruf und Hilfeschrei nach Frankreich.43
Dort aber zelebrierten vornehme Priester die lässigen Rhythmen von
Stundengebeten und Kirchenjahren, Jahreszeiten und Menschenal-
tern. Ihr materieller Reichtum erlaubte ihnen Zeit Verschwendung. Sie
durften jüdische und heidnische Zeitspaltereien getrost ignorieren.
Einen exotischen Text zum Astrolab würden sie in der Schatzkammer
verwahren, nicht in der Schulstube behandeln. Wenn sie ihn etwa aus
den Domschulen lothringischer Bischofsstädte Weitergaben, an ale-
mannische Mönche zum Beispiel, würden auch die Empfänger die
Zeichen der Zeit nicht aufgeregter diskutieren und arabische Vokabeln
nicht verbissener memorieren.44
In der Tat kann man nachweisen, daß Hermann der Lahme die
allgemeine Theorie der stereographischen Projektion nicht ganz
begriff.45 Vor allem wiederholte er einen speziellen Fehler der
spanischen Anleitungen: Er teilte die Skala der 12 Tierkreiszeichen auf
der ‘Spinne’ in zwar ungleich lange, aber stets 30 Grade umfassende
Abschnitte, während bei der Projektion des ‘schiefen’ Tierkreises auf
die ‘gerade’ Äquatorebene einigen Zeichen mehr, anderen weniger
Grade zugekommen wären.46 Die Konstruktion beschrieb er allerdings

43 Gerbert, Briefsammlung Nr. 24 S. 46 f. an Lupitus. Dazu Harriet P. Lattin,
Lupitus Barchinonensis, Speculum 7 (1932) S. 58-64, wo der Adressat plausibler
als bei Millas, Assaig S. 102 f. identifiziert ist. Auf Abraham und Ptolemaios
berief sich Lupitus, Prolog S. 274, nach Isidor (oben Anm. 29). Die wissen-
schaftsgeschichtlich orientierte Forschung, noch Borst, Computus S. 28 f.,
überhört den politisch drängenden Ton des Prologs, der sich von Chaldäern und
Arabern distanzierte, an die „heilige Kirche“ appellierte und damit wohl
französische Kirchenpolitiker von Gerberts Schlag aktivieren wollte. Zur
Datierung unten Anm. 74, zum Verfasserproblem Anm. 118.
44 Zur lothringischen Vermittlung Haskins, Studies S. 3-9, 51-53; Mary C.
Welborn, Lotharingia as a center of Arabic and scientific influence in the
eleventh Century, Isis 16 (1931) S. 188-199, hier S. 195 f.; Vyver, Traductions S.
288; Kunitzsch, Sternnamen S. 37 f.
45 Dazu Marianne Hess und Peter Conzelmann, Zur Bedeutung des Astrolabs in
den Schriften Hermanns des Lahmen von Reichenau, Archiv für Kulturge-
schichte 62/63 (1980/81) S. 49-63, hier S. 56-60. Dennoch ist das Urteil von
Michel, Traite S. 10,172 über den mathematisch ungebildeten, phantasierenden
‘Abt’ Hermann ungerecht.
46 Hermann, De mensura astrolabii c. 5 S. 207 f., indirekt nach De mensura
astrolabii c. 1, hg. von Millas, Assaig S. 298 f.; zum Zwischenglied unten Anm.
143. Zur Sache Drecker in der Hermann-Edition S. 214 f.; Poulle, Instruments S.
29-32; Bergmann, Innovationen S. 43-53.
 
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