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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0060
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50

Arno Borst

Zeitmessung bei Nacht übergeht, endet das vordere Blatt. Das hintere
ist zwar dasselbe Stück Pergament, sein Text schließt aber nicht
unmittelbar an; ein Doppelblatt lag einst dazwischen. Mehr fehlt wohl
nicht, denn das neue Thema führt das vorige fort: Zeitmessung bei Tag,
zunächst mit Temporalstunden.
Das oberste Kapitel über Tagstunden und Sonnenhöhe, das fünf-
undvierzigste des Gesamtwerks, berührt sich aufs engste mit einer
dritten Darstellung, den ‘Capitula orologii regis Ptolomei’. Sie gaben
sich als Schrift des berühmten Ptolemaios von Alexandria aus. Zudem
beförderten sie den Astronomen, wie seit Isidor von Sevilla üblich, zum
König der ägyptischen Ptolemäer-Dynastie, rückten ihn also in vor-
augusteische Zeit. In Wirklichkeit gehört die Aufzeichnung zu einem
mehrteiligen Werk aus dem späten 10. Jahrhundert mit dem Titel
‘Sententie astrolabii’. Als frühestes Sammelwerk stellte es zusammen,
wie die Teile des Astrolabs hießen, was sie anzeigten, wozu man das
Ganze verwenden konnte und wie man es handhaben mußte. Ein
Vorbild für unser Kompendium mithin, allerdings auf die Gebrauchs-
anweisung beschränkt. Die Forschung ist diesmal geneigt, als Autor
oder besser Redaktor, der die heterogenen Einzelteile locker mitein-
ander verband, den Erzdiakon Seniofredus-Lupitus von Barcelona um
980 zu akzeptieren. Der Übersetzer oder der Herausgeber fügte hier,
anders als sonst, eigene Erklärungen hinzu.66
Das nächste Kapitel über Sonnenhöhe und Stundenzahl lehnt sich an
dasselbe Buch von Pseudo-Ptolemaios an. Am Schluß des Fragments
kommt der Autor auf zwei Abschnitte bei Gerberts Schüler zurück, um
nun auch die Teile von Äquinoktialstunden zu messen. Das ist die
Frage, die sich logisch als nächste aufdrängt, als Thema des achtund-
vierzigsten Kapitels, mit dessen Beginn das Fragment schließt.
Die Analyse der Quellen untermauert den Nachweis, den die
Analyse des Inhalts erbracht hat, daß das auf der Reichenau kopierte
Buch eine systematisch gegliederte Gesamtdarstellung war.67 Was uns

66 Capitula orologii regis Ptolomei, hg. von Millas, Assaig S. 280-288. Zu dem
Traktat (Bestandteil von J' nach Bubnov, II C nach Millas und Kunitzsch) und
seinem Verfasser Millas, Assaig S. 180-185, 187-189, 193-195; Vyver, Traduc-
tions S. 277-282; Zinner, Astrolab S. 19 f.; Kunitzsch, Glossar S. 477 f.;
Bergmann, Innovationen S. 122-126.
67 Bergmann, Traktat S. 99 war auf der richtigen Spur: Es sei die Vermutung
gewagt, daß Gerbert oder wer auch immer ‘De utilitatibus astrolabii' verfaßt hat,
 
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