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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0066
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Arno Borst

So viel ist sicher: Gerbert war ein wendiger Politiker und ein rastloser
Gelehrter, jedoch ein Spezialist fürs Aktuelle, kein Lehrbuchautor für
Kosmologie, kein Philosoph der Zeitlichkeit, kein Seelenhirt. Daß
ausgerechnet er als Silvester II. 999 den Papstthron bestieg, mißbilligte
fünfzig Jahre danach Hermann der Lahme in seiner Chronik. Gerbert
sei der weltlichen Literatur allzusehr ergeben gewesen, habe dadurch
den neugierigen Sachsenkaiser Otto III. betört und so die höchste
geistliche Würde erlangt.79 Die Reichenauer konnten um 1000 nicht
ahnen, daß ihre Auszüge über die Sternbilder auf Gerbert zurückgin-
gen; Hermann wollte um 1050 noch immer nichts davon wissen. Der
gesuchte Vermittler war also ein anderer.
Wie stand Hermann zu den beiden Bildungs- und Machtzentren im
spanischen Ursprungsland der Astrolab-Traktate? Interessiert war er.
Im Jahr 827 hätten die Sarazenen die Gegend von Barcelona und
Gerona verwüstet, teilte Hermanns Chronik nach älteren fränkischen
Annalen mit.80 Von der neueren Geschichte Spaniens erfuhr er indes
nichts, auch nichts vom Austausch zwischen den sächsischen Ottonen
und dem Kalifat von Cordoba, den Johannes, Mönch und später Abt
des lothringischen Klosters Gorze, seit 950 in Gang gebracht hatte.81
Genausowenig wußte Hermann vom Angriff al-Mansurs auf Katalo-
nien, durch den dieser Austausch abgebrochen und 985 Barcelona

79 Hermann. Chronicon a. 1000 S. 118. Über Gerberts Verhältnis zu Otto III. am
eindringlichsten Percy Ernst Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio. Studien zur
Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen
Reiches bis zum Investiturstreit (zuerst 1929, 41984) S. 96-102. Gerberts
wirklichen Einfluß auf Otto reduziert Harald Zimmermann. Gerbert als
kaiserlicher Rat, in: Tosi, Gerberto S. 235-253. Positiv wird sein Pontifikat von
Riehe, Gerbert S. 205-235 gewürdigt.
80 Hermann, Chronicon a. 827 S. 103, nach Annales regni Francorum a. 827, hg.
von Friedrich Kurtze (MGH. Scriptores rerum Germanicarum Bd. 6, 1895) S.
172 f.
81 Dazu Helmut G. Walther, Der gescheiterte Dialog: Das ottonische Reich und
der Islam, in: Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, hg. von Albert
Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia Bd. 17, 1985) S. 20-44. Daß die
arabische Sternkunde schon dabei ins Abendland gekommen sei, ist eine
anachronistische Annahme von James W. Thompson. The Introduction of
Arabic Science into Lorraine in the Tenth Century, Isis 12 (1929) S. 184-193,
hier S. 187-191; zurückgewiesen schon von Millas, Assaig S. 208 Anm. 2.
Umsichtig Paul L. Butzer, Die Mathematiker des Aachen-Lütticher Raumes
von der karolingischen bis zur spätottonischen Epoche, Annalen des Histori-
schen Vereins für den Niederrhein 178 (1976) S. 7-30, hier S. 26-29.
 
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