Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
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auf der Spinne wie auf der Rückseite bei der Jahresskala. Sie weist
bereits 365 Tage auf, verzeichnet Äquinoktien und Sonnenwenden und
ist exzentrisch konstruiert, für die Jahre vor 1000 verdächtig exakt. Aus
dem zeitgenössischen Rahmen fallen weiter lateinische Großbuchsta-
ben, die, teilweise nach griechischer Manier, mehrstellige Zahlen
ersetzen; Analogien dazu kennen wir aus dem fortgeschrittenen 11.
Jahrhundert. Warum nennt schließlich die Einlegescheibe für 41V2
Grad nicht Barcelona, sondern Roma et Francia? Bloß weil vor 985 die
Grafschaft Barcelona nominell noch zu Frankreich gehörte - oder
etwa, weil inzwischen in Mitteleuropa nicht mehr klar war, wie weit
Francia reichte? So muß die Datierung und Lokalisierung dieses
schillerndsten aller Astrolabien in der Schwebe bleiben.76
Überdies wissen wir nicht, wie gründlich sich Gerbert selbst mit dem
Instrument abgab, und sind auf Rückschlüsse angewiesen. Fest steht,
daß er die Theorie des Geräts um 980 kannte; vermuten dürfen wir, daß
er nach 989 mit ihm auch praktisch hantierte und es auf den Standort
Reims umstellte.77 Doch bei dem oralogium mit fistula, das er 997 in
Magdeburg dem Kaiser Otto III. vorführte, können wir nicht entschei-
den, ob es eine Wasseruhr zur Zeitbestimmung war, verbunden mit
einem Sehrohr zum Anpeilen des Polarsterns, oder aber ein veritables
Astrolab, das beide Messungen kombinierte.78
76 Destombes, Astrolabe S. 4-9 beschreibt und datiert das neu aufgetauchte
Exemplar. Bei der Frage, ob es sich wirklich um Gerberts Astrolab, nicht um
eine spätere Anfertigung handle, kommt die Forschung über die Vorbehalte von
Poulle, Instruments S. 33; Beaujouan, Apocryphes S. 651 Anm. 24 nicht hinweg.
Zu den Zahlzeichen Borst, Zahlenkampfspiel S. 132 f. Ein weiteres, seit
längerem bekanntes ‘Astrolab Papst Silvesters II.’ hat nichts mit Gerbert zu tun;
dazu Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 230 f.; Michel, Traite S. 170 f.
77 Gerbert, Regulae de numerorum abaci rationibus, hg. von Bubnov, Gerbert S. 7
f. spielte um 980 auf Grundbegriffe des Astrolabs an, was nach dem Herausgeber
auch Millas, Assaig S. 113 f.; Vyver, Traductions S. 274 Anm. 35 bemerken.
Jedoch benutzte Gerbert, Briefsammlung Nr. 153 S. 180 f. das Gerät noch 989
nicht zur konkreten Zeitmessung; Richer von Reims (wie Anm. 72) nannte es
um 996 nicht unter Gerberts Instrumenten. Zu den möglichen Folgerungen aus
diesem Quellenbefund Poulle, Astronomie S. 602-607; Beaujouan, Apocryphes
S. 651.
78 Thietmar von Merseburg, Chronicon VI, 100, hg. von Robert Holtzmann
(MGH. Scriptores rerum Germanicarum Nova series Bd. 9,21955) S. 392 f. Dazu
Bubnov, Gerbert S. 382, der ein Astrolab annimmt; Poulle, Astronomie S.
607-609, der für ein Nocturlab plädiert. Seitenhiebe gegen Thietmars Inkom-
petenz sind unangebracht; seine Unterscheidung zwischen ‘Uhr’ und ‘Sehrohr’
spiegelt Gerberts eigenen Sprachgebrauch.
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auf der Spinne wie auf der Rückseite bei der Jahresskala. Sie weist
bereits 365 Tage auf, verzeichnet Äquinoktien und Sonnenwenden und
ist exzentrisch konstruiert, für die Jahre vor 1000 verdächtig exakt. Aus
dem zeitgenössischen Rahmen fallen weiter lateinische Großbuchsta-
ben, die, teilweise nach griechischer Manier, mehrstellige Zahlen
ersetzen; Analogien dazu kennen wir aus dem fortgeschrittenen 11.
Jahrhundert. Warum nennt schließlich die Einlegescheibe für 41V2
Grad nicht Barcelona, sondern Roma et Francia? Bloß weil vor 985 die
Grafschaft Barcelona nominell noch zu Frankreich gehörte - oder
etwa, weil inzwischen in Mitteleuropa nicht mehr klar war, wie weit
Francia reichte? So muß die Datierung und Lokalisierung dieses
schillerndsten aller Astrolabien in der Schwebe bleiben.76
Überdies wissen wir nicht, wie gründlich sich Gerbert selbst mit dem
Instrument abgab, und sind auf Rückschlüsse angewiesen. Fest steht,
daß er die Theorie des Geräts um 980 kannte; vermuten dürfen wir, daß
er nach 989 mit ihm auch praktisch hantierte und es auf den Standort
Reims umstellte.77 Doch bei dem oralogium mit fistula, das er 997 in
Magdeburg dem Kaiser Otto III. vorführte, können wir nicht entschei-
den, ob es eine Wasseruhr zur Zeitbestimmung war, verbunden mit
einem Sehrohr zum Anpeilen des Polarsterns, oder aber ein veritables
Astrolab, das beide Messungen kombinierte.78
76 Destombes, Astrolabe S. 4-9 beschreibt und datiert das neu aufgetauchte
Exemplar. Bei der Frage, ob es sich wirklich um Gerberts Astrolab, nicht um
eine spätere Anfertigung handle, kommt die Forschung über die Vorbehalte von
Poulle, Instruments S. 33; Beaujouan, Apocryphes S. 651 Anm. 24 nicht hinweg.
Zu den Zahlzeichen Borst, Zahlenkampfspiel S. 132 f. Ein weiteres, seit
längerem bekanntes ‘Astrolab Papst Silvesters II.’ hat nichts mit Gerbert zu tun;
dazu Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 230 f.; Michel, Traite S. 170 f.
77 Gerbert, Regulae de numerorum abaci rationibus, hg. von Bubnov, Gerbert S. 7
f. spielte um 980 auf Grundbegriffe des Astrolabs an, was nach dem Herausgeber
auch Millas, Assaig S. 113 f.; Vyver, Traductions S. 274 Anm. 35 bemerken.
Jedoch benutzte Gerbert, Briefsammlung Nr. 153 S. 180 f. das Gerät noch 989
nicht zur konkreten Zeitmessung; Richer von Reims (wie Anm. 72) nannte es
um 996 nicht unter Gerberts Instrumenten. Zu den möglichen Folgerungen aus
diesem Quellenbefund Poulle, Astronomie S. 602-607; Beaujouan, Apocryphes
S. 651.
78 Thietmar von Merseburg, Chronicon VI, 100, hg. von Robert Holtzmann
(MGH. Scriptores rerum Germanicarum Nova series Bd. 9,21955) S. 392 f. Dazu
Bubnov, Gerbert S. 382, der ein Astrolab annimmt; Poulle, Astronomie S.
607-609, der für ein Nocturlab plädiert. Seitenhiebe gegen Thietmars Inkom-
petenz sind unangebracht; seine Unterscheidung zwischen ‘Uhr’ und ‘Sehrohr’
spiegelt Gerberts eigenen Sprachgebrauch.