82
Arno Borst
Landschaft lebten und deren Arbeitszeit vom Sonnenstand
abhing.148
Hermann selbst versah seine Sonnenuhr mit einer zusätzlichen
Skala, um auch die Höhe von Bäumen oder Türmen zu messen.
Überhaupt fesselten ihn am Ende geometrische Probleme, die ihm von
der ‘Geometria’ Gerberts und seiner Schüler zugetragen wurden.
Hauptsächlich reizte ihn das von Macrobius berichtete Verfahren des
Eratosthenes dazu, den Umfang und Durchmesser der Erde mit eigens
dafür erfundenen Bruchzahlen nachzurechnen und mit Astrolab und
Sonnenuhr nachzumessen. „Was körperliche Sinne nicht aufhellen
können, durchdringt scharfer Verstand sonnenklar.“ Doch hinterließ
Hermann die Notizen zur Erforschung des Raums beim Tod 1054
unvollendet. Das hinderte seine Reichenauer Mitmönche nicht, sie
abzuschreiben und zu verbreiten.149
Vor allem schickten sie Hermanns abgeschlossene Lehrbücher zu
den vertrauten Partnern, beispielsweise nach Micy, wo man an die
frühen Astrolab-Texte wenigstens Hermanns Schrift zum Zahlen-
kampfspiel anhängte, und nach Regensburg, wo neben ältere Traktate
die Bauanleitung Hermanns gestellt wurde. Dort gab man freilich das
ererbte Corpus nicht preis.150 Anhand dieser vielgestaltigen Literatur
schrieb in Regensburg der junge Wilhelm, der spätere Abt von Hirsau,
vor 1069 ein Lehrbuch der Astronomie, von dem nur das Vorwort
erhalten blieb. Zur Unterweisung seiner Schüler entwarf er wohl in den
1060er Jahren eine Art steinernes Astrolab, das bis heute in Regens-
burg steht. So rigoros er nachher seine frühen Studien verwarf, auf
148 Zur Wirkungsgeschichte Lynn Thorndike, On the cylinder called the horologe of
travelers, Isis 13 (1929/30) S. 51-52; Ernst Zinner, Horologium Viatorum, Isis 14
(1930/31) S. 385-387; Zinner, Instrumente S. 51. Den Erfinder Hermann
ignorieren Rene R.J.Rohr, Les cadrans solaires. Traite de gnomonique
theorique et appliquee (1965) S. 163; Anthony J. Turner, Gnomon, in: Lexikon
des Mittelalters, Bd. 4 (1989) Sp. 1525.
149 De magnitudine ambitus universi orbis, hg. von Migne PL Bd. 143 Sp. 408 f. als
‘De utilitatibus astrolabii II, 2-4’. Das Mittelstück steht schon in Meinzos Brief
(oben Anm. 88), der ohnehin Hermanns Arbeit an diesen antiken Texten und
Fragen beweist. Zur Nachwirkung unten Anm. 162. Erst hundert Jahre nach
Hermann entstand die Sp. 411 f. folgende Erklärung der Azimutkreise; dazu
Kunitzsch, Glossar S. 496 f., 551.
150 Zur Handschrift aus Micy oben Anm. 121. Die aus Regensburg jetzt in
München, Staatsbibliothek, Codex latinus 14689; Inhaltsübersicht bei Berg-
mann, Innovationen S. 237-239. Auch die Varianten dieses Codex sind in der
anschließenden Edition des Konstanzer Fragments notiert.
Arno Borst
Landschaft lebten und deren Arbeitszeit vom Sonnenstand
abhing.148
Hermann selbst versah seine Sonnenuhr mit einer zusätzlichen
Skala, um auch die Höhe von Bäumen oder Türmen zu messen.
Überhaupt fesselten ihn am Ende geometrische Probleme, die ihm von
der ‘Geometria’ Gerberts und seiner Schüler zugetragen wurden.
Hauptsächlich reizte ihn das von Macrobius berichtete Verfahren des
Eratosthenes dazu, den Umfang und Durchmesser der Erde mit eigens
dafür erfundenen Bruchzahlen nachzurechnen und mit Astrolab und
Sonnenuhr nachzumessen. „Was körperliche Sinne nicht aufhellen
können, durchdringt scharfer Verstand sonnenklar.“ Doch hinterließ
Hermann die Notizen zur Erforschung des Raums beim Tod 1054
unvollendet. Das hinderte seine Reichenauer Mitmönche nicht, sie
abzuschreiben und zu verbreiten.149
Vor allem schickten sie Hermanns abgeschlossene Lehrbücher zu
den vertrauten Partnern, beispielsweise nach Micy, wo man an die
frühen Astrolab-Texte wenigstens Hermanns Schrift zum Zahlen-
kampfspiel anhängte, und nach Regensburg, wo neben ältere Traktate
die Bauanleitung Hermanns gestellt wurde. Dort gab man freilich das
ererbte Corpus nicht preis.150 Anhand dieser vielgestaltigen Literatur
schrieb in Regensburg der junge Wilhelm, der spätere Abt von Hirsau,
vor 1069 ein Lehrbuch der Astronomie, von dem nur das Vorwort
erhalten blieb. Zur Unterweisung seiner Schüler entwarf er wohl in den
1060er Jahren eine Art steinernes Astrolab, das bis heute in Regens-
burg steht. So rigoros er nachher seine frühen Studien verwarf, auf
148 Zur Wirkungsgeschichte Lynn Thorndike, On the cylinder called the horologe of
travelers, Isis 13 (1929/30) S. 51-52; Ernst Zinner, Horologium Viatorum, Isis 14
(1930/31) S. 385-387; Zinner, Instrumente S. 51. Den Erfinder Hermann
ignorieren Rene R.J.Rohr, Les cadrans solaires. Traite de gnomonique
theorique et appliquee (1965) S. 163; Anthony J. Turner, Gnomon, in: Lexikon
des Mittelalters, Bd. 4 (1989) Sp. 1525.
149 De magnitudine ambitus universi orbis, hg. von Migne PL Bd. 143 Sp. 408 f. als
‘De utilitatibus astrolabii II, 2-4’. Das Mittelstück steht schon in Meinzos Brief
(oben Anm. 88), der ohnehin Hermanns Arbeit an diesen antiken Texten und
Fragen beweist. Zur Nachwirkung unten Anm. 162. Erst hundert Jahre nach
Hermann entstand die Sp. 411 f. folgende Erklärung der Azimutkreise; dazu
Kunitzsch, Glossar S. 496 f., 551.
150 Zur Handschrift aus Micy oben Anm. 121. Die aus Regensburg jetzt in
München, Staatsbibliothek, Codex latinus 14689; Inhaltsübersicht bei Berg-
mann, Innovationen S. 237-239. Auch die Varianten dieses Codex sind in der
anschließenden Edition des Konstanzer Fragments notiert.