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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0093
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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exakt gemessener Zeit bestand Wilhelm von Hirsau noch als Kirchen-
reformer.151
Damit endete allerdings die unmittelbare Nachwirkung Hermanns
im monastischen Umkreis. Für die Anhänger Papst Gregors VII. trat
nach 1070, wie für Petrus Damiani schon vorher, die wissenschaftliche
Betrachtung zurück hinter dem Willen, die Welt im Geist der Urkirche
aktiv zu verwandeln. Dieser neue politische Antrieb bestärkte leicht
die alten religiösen Vorbehalte. Auch die Reichenauer selbst schätzten
den frommen Mönch Hermann höher als den glänzenden Lehrer,
liebten den Komponisten mehr als den Kritiker und fanden unter
seinen gelehrten Arbeiten die zur Zeitrechnung und rechnenden
Geometrie bedeutsamer als die zur Zeitmessung und beobachtenden
Astronomie.
Bereits Hermanns Schüler Berthold von Reichenau erwähnte in
seinem Nachruf um 1055/56 nur noch die Geschicklichkeit des Meisters
beim Instrumentenbau, in horologicis et musicis instrumentis et mecha-
nicis componendis, nicht mehr seine Lehrbücher zum Astrolab. Von
ihnen behielt das Inselkloster keine Abschrift, auch von seinen
Instrumenten kein Muster.152 Bald danach kopierten die Reichenauer
ein älteres Verzeichnis arabischer Sternnamen, das sie öfter mit
anderen Buchstaben schrieben und manchmal mit anderen Koordina-
ten versahen als ihr fachkundigster Mitbruder. Solche Kleinigkeiten
waren für gottliebende Seelen bloß Wissensballast.153

151 Wilhelm von Hirsau, Praefatio in Astronomien, hg. von Migne PL Bd. 150 Sp.
1639-1642. Dazu Schramm, Sphaira S. 79; Borst, Forschungsbericht S. 460 f.;
Borst, Computus S. 39 f. Zu der Steinsäule Zinner, Instrumente S. 167 f., 589 f.,
607; Hartmut Boockmann, Athenaion-Bilderatlas zur deutschen Geschichte
(Handbuch der deutschen Geschichte Bd. 5, 1968) S. 47, 649 und Tafel 150.
152 Berthold von Reichenau, Annales a. 1054, hg. von Georg Heinrich Pertz, in:
MGH. Scriptores, Bd. 5 (1844) S. 267. Dazu Franz-Josef Schmale, Berthold von
Reichenau, in: Verfasserlexikon Bd. 1 (1978) Sp. 823 f.; Borst, Forschungsbe-
richt S. 394, 443. Ebd. S. 466 zur weiteren Reichenauer Nachwirkung
Hermanns.
153 Alfred Holder, Ein Brief des Abts Bern von Reichenau NA 13 (1888) S.
630-632, hier S. 631 f. Zu nahe rücken Holder, Handschriften Bd. 1 S. 354;
Vyver, Traductions S. 271 Anm. 18; Bergmann, Traktat S. 90 diese Liste an
Hermann, De mensura astrolabii c. 6 S. 209 heran. Bestätigt wird die Distanz
durch Schriftanalyse und Datierung des Codex bei Hoffmann, Buchkunst Bd. 1
S. 326. Über Herkunft und Verzweigung dieses ‘Typs IIP Paul Kunitzsch, Typen
von Sternverzeichnissen in astronomischen Handschriften des zehnten bis
vierzehnten Jahrhunderts (1966) S. 23-30.
 
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