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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0098
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Arno Borst

In seiner ‘Practica geometriae’ verleugnete Hugo um 1130 nicht
ganz, daß man mit der Vorderseite des astrolapsus „den Augenblick der
gegenwärtigen Stunde finden“ könne. Doch zur Hauptsache überwies
er das Instrument an die praktische Geometrie und erklärte es zum
wichtigsten unter allen Werkzeugen für Messungen von Strecken,
Flächen und Körpern. Dafür brauchte er bloß die Rückseite mit den
Schattenquadraten. Hugo schrieb die Astrolab-Schrift von Gerberts
Schüler aus, ferner Hermanns Notizen zur geometrischen Nutzung des
Geräts; er zitierte aber ausschließlich die antiken Autoren Eratosthe-
nes und Macrobius, als hätten sie das Astrolab schon gekannt und
damit nichts anderes als Räume gemessen. In diesen irdischen Grenzen
war Rezeption der Antike erwünscht.* * * * * 162
So durfte ein Geistlicher, der etwas vom Astrolab verstand, auf seine
ausgedehnten Kenntnisse stolz sein und entging doch, wenn er sie für
sekundär ausgab, dem Verdacht des luziferischen Hochmuts. Das
dachte sich der einflußreiche deutsche Abt Wibald von Stablo, ein
Bewunderer Hugos, einstmals in Lüttich geschult. In einem Brief ließ
er den Domschulmeister Manegold von Paderborn 1149 huldvoll
wissen, daß er in allen sieben Freien Künsten vorzüglich ausgebildet
und bewandert sei und außer vielem anderen das Rechenbrett, die
Sonnenuhr und das astrolabium beherrsche. Wie diese Geräte ein
frommes Mönchsleben fördern könnten, wußte Wibald nicht zu lehren;
vielmehr schloß er mit gezierter Bescheidenheit, alle Kenntnisse eines
Aristoteles hülfen dem irrenden Menschen wenig oder nichts, wenn er

Borst, Zahlenkampfspiel S. 180 f. Zur neuen Astrologie grundlegend Fritz Saxl,
The Belief in Stars in the Twelfth Century (zuerst 1929/30), jetzt in: Derselbe,
Lectures, Bd. 1 (1957) S. 85-95; John D. North, Medieval Concepts of Celestial
Influence: A Survey, in: Astrology, Science and Society, hg. von Patrick Curry
(1987) S. 5-17.
162 Practica geometriae c. 35, hg. von Roger Baron, Hugonis de Sancto Victore
opera propaedeutica (1966) S. 46 Zeitmessung, nach Gerberts Schüler, De
utilitatibus astrolabii c. 4 S. 127; c. 10 S. 25 Raummessung, nach Gerberts
Schüler, c. 1 § 1 S. 114 f.; c. 39-40 S. 49-51 Eratosthenes und Macrobius, teils
nach Geometria incerti auctoris IV, 60. hg. von Bubnov, Gerbert S. 362 f., teils
nach Hermanns Exzerpten ‘De magnitudine ambitus universi orbis’ (oben Anm.
149). Zu Authentizität und Datierung Roger Baron, Hugues de Saint-Victor.
Auteur d’une Practica geometriae, Medieval Studies 17 (1955) S. 107-116. Zum
Inhalt Michael S. Mahoney, Mathematics, in: Lindberg, Science S. 145-178, hier
S. 155 f. Hermanns Einwirkung war bisher unerkannt.
 
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