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Arno Borst
verstorbenen Geometer Paolo Dagomari auf, der eine Anleitung zur
kaufmännischen Buchführung schrieb, als Instrumentenmacher
berühmt war und sich außerdem auf astrologische Prognosen verstand.
Vornehmlich an angewandter Mathematik interessiert, vermaß er wie
die Erde, so den Himmel und rechnete die Ergebnisse aus. Sie klangen
sensationell, denn sie widerlegten die Zuversicht Raimunds von
Marseille. „Er zeigte, daß in der Neuzeit die toledanischen Sterntafeln
wenig oder nichts nützten und daß sogar die Alfonsinischen an einigen
Stellen wahrnehmbar schwankten. Damit erwies er, daß das nach den
toledanischen Tafeln konstruierte Instrument des Astrolabs, das wir
häufig gebrauchen, von den Regeln der Astronomie abweicht, daß sich
also diejenigen Astrologen täuschen, die ihre Beweise daher nehmen.“
Damit war dem Astrolab der selbständige Erkenntniswert für jegliche
Himmelsbeobachtung abgesprochen; das Rechengerät konnte nicht
besser sein als die gelehrten, inzwischen schon wieder veralteten
Tabellen aus Spanien, nach denen die Handwerker es bauten.180
So verlor es den Nimbus eines wissenschaftlichen Universalinstru-
ments und zog Laien an, die ihren Horizont lieber überschritten als
ausmaßen. Sie setzten das Astrolab als Wegweiser in unbekannte
Zeiten und Räume ein, für zwei spezielle, voneinander isolierte
Bedürfnisse, die seßhafte Gelehrte selten plagten: Bestimmung nicht
der gemeinsamen Zeit, nur der individuellen Zukunft, durch Astrolo-
gie; Bestimmung nicht des bewohnten Raums, nur der ortlosen Leere,
durch Navigation. Die Anziehungskraft beider Verfahren trat unver-
hüllt zutage in dem unvollendeten Astrolab-Traktat, den der größte
Dichter des mittelalterlichen England, Geoffrey Chaucer, um 1393 für
seinen Sohn in der Muttersprache verfaßte. Er brach das Bildungspri-
vileg der scholastischen Universität, wenn er Aufbau und Gebrauch des
Astrolabs in einer Volkssprache schriftlich erklärte und dabei als
Hauptquelle den lateinischen Messahalla heranzog.
Chaucer bekannte sich zu den arabischen Meistern und lernte bei
ihnen die Methoden der Rechenkunst und Sterndeutung. Er verwei-
gerte heidnischen, magischen Riten den Glauben, hielt es aber für
ausgemacht, daß jedes Tierkreiszeichen einen Körperteil des Men-
schen beherrsche, und lehrte den Sohn, diese kalkulierbaren Einflüsse
180 Filippo Villani, Liber de civitatis Florentiae famosis civibus II, 2, 5, hg. von
Gustavo C. Galletti (1847) S. 33. Zu Villanis Werk Berthold L. Ullman, Studies
in the Italian Renaissance (zuerst 1955, 21973) S. 16 f., 20 f., 239-245; zu
Dagomari Thorndike, History Bd. 3 S. 205-212.
Arno Borst
verstorbenen Geometer Paolo Dagomari auf, der eine Anleitung zur
kaufmännischen Buchführung schrieb, als Instrumentenmacher
berühmt war und sich außerdem auf astrologische Prognosen verstand.
Vornehmlich an angewandter Mathematik interessiert, vermaß er wie
die Erde, so den Himmel und rechnete die Ergebnisse aus. Sie klangen
sensationell, denn sie widerlegten die Zuversicht Raimunds von
Marseille. „Er zeigte, daß in der Neuzeit die toledanischen Sterntafeln
wenig oder nichts nützten und daß sogar die Alfonsinischen an einigen
Stellen wahrnehmbar schwankten. Damit erwies er, daß das nach den
toledanischen Tafeln konstruierte Instrument des Astrolabs, das wir
häufig gebrauchen, von den Regeln der Astronomie abweicht, daß sich
also diejenigen Astrologen täuschen, die ihre Beweise daher nehmen.“
Damit war dem Astrolab der selbständige Erkenntniswert für jegliche
Himmelsbeobachtung abgesprochen; das Rechengerät konnte nicht
besser sein als die gelehrten, inzwischen schon wieder veralteten
Tabellen aus Spanien, nach denen die Handwerker es bauten.180
So verlor es den Nimbus eines wissenschaftlichen Universalinstru-
ments und zog Laien an, die ihren Horizont lieber überschritten als
ausmaßen. Sie setzten das Astrolab als Wegweiser in unbekannte
Zeiten und Räume ein, für zwei spezielle, voneinander isolierte
Bedürfnisse, die seßhafte Gelehrte selten plagten: Bestimmung nicht
der gemeinsamen Zeit, nur der individuellen Zukunft, durch Astrolo-
gie; Bestimmung nicht des bewohnten Raums, nur der ortlosen Leere,
durch Navigation. Die Anziehungskraft beider Verfahren trat unver-
hüllt zutage in dem unvollendeten Astrolab-Traktat, den der größte
Dichter des mittelalterlichen England, Geoffrey Chaucer, um 1393 für
seinen Sohn in der Muttersprache verfaßte. Er brach das Bildungspri-
vileg der scholastischen Universität, wenn er Aufbau und Gebrauch des
Astrolabs in einer Volkssprache schriftlich erklärte und dabei als
Hauptquelle den lateinischen Messahalla heranzog.
Chaucer bekannte sich zu den arabischen Meistern und lernte bei
ihnen die Methoden der Rechenkunst und Sterndeutung. Er verwei-
gerte heidnischen, magischen Riten den Glauben, hielt es aber für
ausgemacht, daß jedes Tierkreiszeichen einen Körperteil des Men-
schen beherrsche, und lehrte den Sohn, diese kalkulierbaren Einflüsse
180 Filippo Villani, Liber de civitatis Florentiae famosis civibus II, 2, 5, hg. von
Gustavo C. Galletti (1847) S. 33. Zu Villanis Werk Berthold L. Ullman, Studies
in the Italian Renaissance (zuerst 1955, 21973) S. 16 f., 20 f., 239-245; zu
Dagomari Thorndike, History Bd. 3 S. 205-212.