Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
109
belegt der Spezialist moderne astronomisch-geodätische Meßgeräte
mit dem antiken Namen des Astrolabs, als läge zwischen Wort und
Sache nicht der folgenreichste, der kopernikanische Einschnitt der
Wissenschaftsgeschichte.200 Die Präzision mathematischer Formeln
rechtfertigt keine Unschärfe historischer Begriffe.
Weiter als die Verwendung des Unterschiedlichen führt die Abkehr
vom Hergebrachten, die seit dem 12. Jahrhundert, seit Peter Abaelard,
immer mehr zur Richtschnur für wissenschaftlich begründete Lebens-
formen wurde. Einen hohen Preis kostet auch sie. Heute könnte
niemand mehr im Stil eines Thomas von Aquin behaupten: „Die
Industriegesellschaft strebt keine Einengung durch raffinierte Zeitkon-
trolle an. Um zu wissen, wann Mittagspause ist, muß man keinen
Computer heranziehen.“ Zweifellos führte die ständig verfeinerte
Kontrolle der Zeit zu bedeutenden Entdeckungen der modernen
Wissenschaft und fühlbaren Erleichterungen modernen Lebens; die
wenigsten Zeitgenossen möchten sie missen. Aber während raffinierte
Kontrolle der Zeit die Spielräume der Rationalisierung erweitert, engt
sie die der Lebensgestaltung ein, und auf deren alte Freiheit und
Verantwortung verzichten die meisten Zeitgenossen zugunsten eph-
emeren Zeitvertreibs.
Von allen früheren, selbst den fortschrittlichsten Zeitaltern haben
wir Heutigen uns vollends losgesagt, seitdem 1974 die physikalisch-
technische Zeitmessung zwar nicht gänzlich von astronomischen
Beobachtungen, aber radikal von biologischen Rhythmen und histori-
schen Einschnitten getrennt worden ist. So gezielt Fachleute diesen
epochalen Schritt vollziehen, den Laien ist er nicht bloß unverständ-
lich, sondern gleichgültig, obwohl er ihren Alltag auf lange Sicht dem
Spruch der Computer unterwirft. Die Präzisierung der Sekunde
erwächst diesmal nicht - wie an der ersten Jahrtausendwende die der
200 So Voislav V. Michkovitch, A Historical Study on the Prismatic Astrolabe,
Vistas in Astronomy 9 (1967) S. 93-95 für ein 1846 erfundenes Gerät, bei dessen
Namen Prismen-Astrolab auch andere Astronomen nicht stutzen. Dagegen rügt
der Physiker Pieter H. van Cittert, Astrolabes. A Critical Description of the
Astrolabes, Noctilabes and Quadrants in the Care of the Utrecht University
Museum (1954) S. 1 die Bezeichnung eines geometrischen Instruments aus dem
17. Jahrhundert als Astrolab. Der historisch versierte Ingenieur Michel, Traite
S. 24 f. hält mit Recht sogar das Marine-Astrolab aus dem 15. Jahrhundert für
falsch benannt.
109
belegt der Spezialist moderne astronomisch-geodätische Meßgeräte
mit dem antiken Namen des Astrolabs, als läge zwischen Wort und
Sache nicht der folgenreichste, der kopernikanische Einschnitt der
Wissenschaftsgeschichte.200 Die Präzision mathematischer Formeln
rechtfertigt keine Unschärfe historischer Begriffe.
Weiter als die Verwendung des Unterschiedlichen führt die Abkehr
vom Hergebrachten, die seit dem 12. Jahrhundert, seit Peter Abaelard,
immer mehr zur Richtschnur für wissenschaftlich begründete Lebens-
formen wurde. Einen hohen Preis kostet auch sie. Heute könnte
niemand mehr im Stil eines Thomas von Aquin behaupten: „Die
Industriegesellschaft strebt keine Einengung durch raffinierte Zeitkon-
trolle an. Um zu wissen, wann Mittagspause ist, muß man keinen
Computer heranziehen.“ Zweifellos führte die ständig verfeinerte
Kontrolle der Zeit zu bedeutenden Entdeckungen der modernen
Wissenschaft und fühlbaren Erleichterungen modernen Lebens; die
wenigsten Zeitgenossen möchten sie missen. Aber während raffinierte
Kontrolle der Zeit die Spielräume der Rationalisierung erweitert, engt
sie die der Lebensgestaltung ein, und auf deren alte Freiheit und
Verantwortung verzichten die meisten Zeitgenossen zugunsten eph-
emeren Zeitvertreibs.
Von allen früheren, selbst den fortschrittlichsten Zeitaltern haben
wir Heutigen uns vollends losgesagt, seitdem 1974 die physikalisch-
technische Zeitmessung zwar nicht gänzlich von astronomischen
Beobachtungen, aber radikal von biologischen Rhythmen und histori-
schen Einschnitten getrennt worden ist. So gezielt Fachleute diesen
epochalen Schritt vollziehen, den Laien ist er nicht bloß unverständ-
lich, sondern gleichgültig, obwohl er ihren Alltag auf lange Sicht dem
Spruch der Computer unterwirft. Die Präzisierung der Sekunde
erwächst diesmal nicht - wie an der ersten Jahrtausendwende die der
200 So Voislav V. Michkovitch, A Historical Study on the Prismatic Astrolabe,
Vistas in Astronomy 9 (1967) S. 93-95 für ein 1846 erfundenes Gerät, bei dessen
Namen Prismen-Astrolab auch andere Astronomen nicht stutzen. Dagegen rügt
der Physiker Pieter H. van Cittert, Astrolabes. A Critical Description of the
Astrolabes, Noctilabes and Quadrants in the Care of the Utrecht University
Museum (1954) S. 1 die Bezeichnung eines geometrischen Instruments aus dem
17. Jahrhundert als Astrolab. Der historisch versierte Ingenieur Michel, Traite
S. 24 f. hält mit Recht sogar das Marine-Astrolab aus dem 15. Jahrhundert für
falsch benannt.