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Eugen Biser
nicht jedoch auf die davon noch unmittelbarer betroffene Instanz, die
Theologie, durchschlug.
Die Hemmnisse
Der nächste Grund liegt, wie Wolfgang Iser deutlich machte, in der
unzulänglich ausgearbeiteten Gegenstandstheorie. Denn der literari-
sche Text ist ein Spezialfall jener „language of performance“ (Austin),
die „keine genaue Gegenstandsentsprechung“ beabsichtigt, sondern
den Gegenstand ihrer Aussage aufgrund vorgegebener „Elemente“ mit
Hilfe des zu kreativer Mitwirkung aufgerufenen Lesers erst hervor-
bringt.18
Daran gemessen fehlt der Theologie noch immer eine vergleichbare
Gegenstandstheorie, obwohl sie Bubers massive Kritik des Satzglau-
bens von der naiven Annahme abzubringen suchte, als sei ihr der Ge-
genstand ihrer Interpretation in biblischen oder dogmatisch „definier-
ten“ Sätzen gegeben.19 Noch immer hat sie sich nicht zu der Einsicht
durchgerungen, daß ihr der Gegenstand ihres Forschens prinzipiell im
Modus des Zugesprochenseins „gegeben“ und damit auf eine sie von
jeder anderen Wissenschaft abgrenzenden Weise anheim- und aufgege-
ben ist.20
18 W. Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: R. Warning (Hrsg.), Rezeptionsästhetik,
München 1975, 228-252.
19 M. Buber, Zwei Glaubensweisen, in: Werke I: Schriften zur Philosophie, München
und Heidelberg 1962, 671-681; dazu der Abschnitt „Vom Satz- zum Vertrauensglau-
ben“ meiner Studie ,Die glaubensgeschichtliche Wende. Eine theologische Positions-
bestimmung1. Graz 1986, 185-193. Auch angesichts der im Lauf der Theologiege-
schichte vorgelegten subtileren Bestimmungsversuche bleibt der Einwand im Recht.
Beziehungsvoll charakterisiert wird die komplexe Sachlage dadurch, daß die Schola-
stik den Gegenstand der Theologie in objektivistischem Verständnis als deren „subiec-
tum“ bezeichnet (Thomas von Aquin, S.th. I, q. 1, a. 7; in 1 Sent, Pro!., a. 4; Bona-
ventura, Prooem., q. 1, in Sent.) und dieser Bestimmung dann doch eine „subjektivi-
stische“ Wendung gibt, wenn sie in einzelnen Vertretern (Robert von Melun, Gros-
seteste) den erfragten „Gegenstand“ mit dem Haupt und Leib umfassenden „ganzen
Christus“ gleichsetzt, der dadurch als der sich im theologischen Erkenntnisprozeß,
analog zu der Formel von dem „unus Christus amans seipsum“ (Augustinus, In psalm.
26,2,23) selbst Begreifende erscheint; dazu A. Kolping, Einführung in die katholische
Theologie, Münster 1963, 112; ferner H. de Lubac, Katholizismus als Gemeinschaft,
Einsiedeln und Köln 1943, 106.
20 Dazu die abschließenden Erwägungen meiner Theologischen Sprachtheorie und Her-
meneutik, München 1970, 566ff.
Eugen Biser
nicht jedoch auf die davon noch unmittelbarer betroffene Instanz, die
Theologie, durchschlug.
Die Hemmnisse
Der nächste Grund liegt, wie Wolfgang Iser deutlich machte, in der
unzulänglich ausgearbeiteten Gegenstandstheorie. Denn der literari-
sche Text ist ein Spezialfall jener „language of performance“ (Austin),
die „keine genaue Gegenstandsentsprechung“ beabsichtigt, sondern
den Gegenstand ihrer Aussage aufgrund vorgegebener „Elemente“ mit
Hilfe des zu kreativer Mitwirkung aufgerufenen Lesers erst hervor-
bringt.18
Daran gemessen fehlt der Theologie noch immer eine vergleichbare
Gegenstandstheorie, obwohl sie Bubers massive Kritik des Satzglau-
bens von der naiven Annahme abzubringen suchte, als sei ihr der Ge-
genstand ihrer Interpretation in biblischen oder dogmatisch „definier-
ten“ Sätzen gegeben.19 Noch immer hat sie sich nicht zu der Einsicht
durchgerungen, daß ihr der Gegenstand ihres Forschens prinzipiell im
Modus des Zugesprochenseins „gegeben“ und damit auf eine sie von
jeder anderen Wissenschaft abgrenzenden Weise anheim- und aufgege-
ben ist.20
18 W. Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: R. Warning (Hrsg.), Rezeptionsästhetik,
München 1975, 228-252.
19 M. Buber, Zwei Glaubensweisen, in: Werke I: Schriften zur Philosophie, München
und Heidelberg 1962, 671-681; dazu der Abschnitt „Vom Satz- zum Vertrauensglau-
ben“ meiner Studie ,Die glaubensgeschichtliche Wende. Eine theologische Positions-
bestimmung1. Graz 1986, 185-193. Auch angesichts der im Lauf der Theologiege-
schichte vorgelegten subtileren Bestimmungsversuche bleibt der Einwand im Recht.
Beziehungsvoll charakterisiert wird die komplexe Sachlage dadurch, daß die Schola-
stik den Gegenstand der Theologie in objektivistischem Verständnis als deren „subiec-
tum“ bezeichnet (Thomas von Aquin, S.th. I, q. 1, a. 7; in 1 Sent, Pro!., a. 4; Bona-
ventura, Prooem., q. 1, in Sent.) und dieser Bestimmung dann doch eine „subjektivi-
stische“ Wendung gibt, wenn sie in einzelnen Vertretern (Robert von Melun, Gros-
seteste) den erfragten „Gegenstand“ mit dem Haupt und Leib umfassenden „ganzen
Christus“ gleichsetzt, der dadurch als der sich im theologischen Erkenntnisprozeß,
analog zu der Formel von dem „unus Christus amans seipsum“ (Augustinus, In psalm.
26,2,23) selbst Begreifende erscheint; dazu A. Kolping, Einführung in die katholische
Theologie, Münster 1963, 112; ferner H. de Lubac, Katholizismus als Gemeinschaft,
Einsiedeln und Köln 1943, 106.
20 Dazu die abschließenden Erwägungen meiner Theologischen Sprachtheorie und Her-
meneutik, München 1970, 566ff.