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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0034
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Eugen Biser

Daß all das tatsächlich aus der Position eines Angesprochenen und in
eine Dialogbeziehung zu Gott Gezogenen entwickelt ist, macht schließ-
lich das im Galaterbrief (4,6) vorweggenommene Wort des Römerbriefs
deutlich, das von der Ermächtigung des Glaubenden zum Nachvollzug
der Abba-Anrede Jesu handelt, diese jedoch ausdrücklich als Wirkung
des Geistes, also der göttlichen Selbstmitteilung, erklärt:
Ihr habt doch nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, so daß ihr euch aufs neue
fürchten müßtet; vielmehr habt ihr den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir
rufen: Abba, Vater! (8,15)
Von daher ist der Schreibakt des Apostels stets von einem Restbewußt-
sein dessen begleitet, was in der mündlichen Mitteilung möglich wäre.
Nur so ist es zu verstehen, daß er, anders als der sich in Lobeserhebun-
gen über seine Erfindung ergehende Schöpfer der Schriftkunst Theut in
Platons ,Phaidros‘, nicht von seiner Pioniertat fortgerissen wird, son-
dern sich, wie am deutlichsten seine Klage im Galaterbrief (4,20) erken-
nen läßt, der Grenzen des von ihm in den Dienst seiner Missionsarbeit
bestellten Mediums bewußt bleibt.56
Die Verkürzung
Während Paulus dabei eher eine qualitative Minderung im Auge hat,
steht in den Evangelien, vermutlich aufgrund ihrer didaktischen Zielset-
zung, die quantitative im Vordergrund, wie sie von der Tradition mit der
Rede von der „Abbreviatur“ und „Extension“ des Wortes angesprochen
wurde.57 Sie liegt bereits in den „Kurzformeln“ vor, mit denen Markus
den Beginn der Tätigkeit Jesu (1,14f.) oder mit welchen Mattäus seine
56 Zum platonischen Mythos (Phaidros 274c-278b) siehe A. und I. Assmann - Chr.
Hardmeier (Hrsg.), Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literari-
schen Kommunikation, München 1983, 7ff.; dazu H.G. Gadamer, Unterwegs zur
Schrift? (A. a. O., 10-19). Mit einer eher dämonischen Herkunft der Schrift rechnete
nach Peter Brown die spätjüdische Legende, nach der das „Schreiben mit Tinte und
Papier“ zu den Geheimnissen zählt, welche die Gottessöhne bei ihrer Verbindung mit
den Menschentöchtern in der Urzeit (Gen. 6,1-4) ausplauderten: Die letzten Heiden.
Eine kleine Geschichte der Spätantike, Berlin 1978, 107. Nur im Vorbeigehen sei auf
die Berührung der Galaterstelle (4,20) mit dem sinnverwandten Passus aus Platons
siebtem Brief (341d) verwiesen; dazu Thomas A. Szezak, Platon und die Schriftlich-
keit der Philosophie, Berlin 1985, 398f.; ferner R. Thurnher, der Siebte Platonbrief,
Meisenheim 1975, 98ff.
57 Daß Paulus auch der quantitativen Minderung Rechnung trägt, zeigen die zahlreichen
„Kurzformeln“, die er in seinen Briefen gebraucht.
 
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