Die Bibel als Medium
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Indessen verweist die Rede von der „language of performance“ auf
eine noch tiefer liegende Hemmung des Medienverständnisses, die mit
einer sprachtheoretischen Kopflastigkeit zusammenhängt. Trotz des
Einspruchs der Vertreter des dialogischen Prinzips mit Buber, Ebner
und Rosenzweig an ihrer Spitze herrscht noch immer ein instrumentelles
Sprachverständnis vor, das Sprache als Medium der „Weltorientierung“
und des Informationstransfers begreift. Doch Sprache ist dem Men-
schen nicht nur nach Art einer instrumentellen Überlebenshilfe gege-
ben, sondern dem Menschsein konsubstantial.21 Und sie ist zuinnerst
nicht Medium des Informationsaustauschs, so sehr dieser bei der alltäg-
lichen Sprach Verwendung im Vordergrund steht, sondern, wie schon
der eklatante Unterschied der Menge der verwendeten Sprachzeichen
und der der tatsächlich mitgeteilten Informationen zeigt, ein symboli-
scher Erweis von Mitmenschlichkeit, einfacher ausgedrückt, eine
„Form der Liebe“ (Le Fort), die als solche die Rückfrage nach dem
motivierenden Impuls geradezu erzwingt.22
Darauf antwortet Paulus, stellvertretend für alle, die jemals in einer
bedeutenden Sache das Wort ergriffen: „Ich glaube, darum rede ich“
(2Kor 4,13). Doch hätte er im Blick auf Äußerungen im ersten seiner
Briefe, wo er seinen Umgang mit den Adressaten mit dem einer umsor-
genden Mutter (IThess 2,7) und eines seine Kinder ermahnenden und
ermutigenden Vaters (2,11 f.) vergleicht, genausogut sagen können:
„Ich liebe, darum rede ich!“ Demgegenüber blockiert das instrumen-
telle Sprachverständnis, zusammen mit dem von Iser beanstandeten
Textbegriff, zumindest in dem davon immer noch betroffenen Bereich
der Theologie, die Rekonstruktion des Vorgangs, der zur Textgestalt
führt und die Bestimmung seiner defizitären Folgen, man könnte auch
sagen, den „rezeptionstheoretischen Umkehrschluß“, sofern sich dieser
auf die Entstehung des Textes aus dem Wort und, spezieller noch, den
Hervorgang des literarischen Werks aus der Konzeption des Autors be-
zieht. Auch darin lief, wenn auch nicht die Literaturwissenschaft, so
doch die Literatur der Theologie den Rang ab, sofern sie sich mit Nietz-
sche und dessen Nachgestalter Thomas Mann ausdrücklich auf Bedin-
gungen und Ablauf des kreativen Prozesses besann.23
21 Näheres dazu in meinem Essay ,Menschsein und Sprache1, Salzburg 1984, 28-48.
22 Die von Gertrud von le Fort übernommene Wendung bezieht sich ursprünglich auf
ihre Bestimmung der Dichtung, in: Die Frau und die Technik, Zürich 1959, 39.
23 Dazu außer dem Inspirationszeugnis in Nietzsches ,Ecce homo1 und dessen Nach-
klang in Solowjews ,Kurzer Geschichte vom Antichrist1 Jochen Schmidt, Thomas
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Indessen verweist die Rede von der „language of performance“ auf
eine noch tiefer liegende Hemmung des Medienverständnisses, die mit
einer sprachtheoretischen Kopflastigkeit zusammenhängt. Trotz des
Einspruchs der Vertreter des dialogischen Prinzips mit Buber, Ebner
und Rosenzweig an ihrer Spitze herrscht noch immer ein instrumentelles
Sprachverständnis vor, das Sprache als Medium der „Weltorientierung“
und des Informationstransfers begreift. Doch Sprache ist dem Men-
schen nicht nur nach Art einer instrumentellen Überlebenshilfe gege-
ben, sondern dem Menschsein konsubstantial.21 Und sie ist zuinnerst
nicht Medium des Informationsaustauschs, so sehr dieser bei der alltäg-
lichen Sprach Verwendung im Vordergrund steht, sondern, wie schon
der eklatante Unterschied der Menge der verwendeten Sprachzeichen
und der der tatsächlich mitgeteilten Informationen zeigt, ein symboli-
scher Erweis von Mitmenschlichkeit, einfacher ausgedrückt, eine
„Form der Liebe“ (Le Fort), die als solche die Rückfrage nach dem
motivierenden Impuls geradezu erzwingt.22
Darauf antwortet Paulus, stellvertretend für alle, die jemals in einer
bedeutenden Sache das Wort ergriffen: „Ich glaube, darum rede ich“
(2Kor 4,13). Doch hätte er im Blick auf Äußerungen im ersten seiner
Briefe, wo er seinen Umgang mit den Adressaten mit dem einer umsor-
genden Mutter (IThess 2,7) und eines seine Kinder ermahnenden und
ermutigenden Vaters (2,11 f.) vergleicht, genausogut sagen können:
„Ich liebe, darum rede ich!“ Demgegenüber blockiert das instrumen-
telle Sprachverständnis, zusammen mit dem von Iser beanstandeten
Textbegriff, zumindest in dem davon immer noch betroffenen Bereich
der Theologie, die Rekonstruktion des Vorgangs, der zur Textgestalt
führt und die Bestimmung seiner defizitären Folgen, man könnte auch
sagen, den „rezeptionstheoretischen Umkehrschluß“, sofern sich dieser
auf die Entstehung des Textes aus dem Wort und, spezieller noch, den
Hervorgang des literarischen Werks aus der Konzeption des Autors be-
zieht. Auch darin lief, wenn auch nicht die Literaturwissenschaft, so
doch die Literatur der Theologie den Rang ab, sofern sie sich mit Nietz-
sche und dessen Nachgestalter Thomas Mann ausdrücklich auf Bedin-
gungen und Ablauf des kreativen Prozesses besann.23
21 Näheres dazu in meinem Essay ,Menschsein und Sprache1, Salzburg 1984, 28-48.
22 Die von Gertrud von le Fort übernommene Wendung bezieht sich ursprünglich auf
ihre Bestimmung der Dichtung, in: Die Frau und die Technik, Zürich 1959, 39.
23 Dazu außer dem Inspirationszeugnis in Nietzsches ,Ecce homo1 und dessen Nach-
klang in Solowjews ,Kurzer Geschichte vom Antichrist1 Jochen Schmidt, Thomas