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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0028
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Eugen Biser

nimmt, die schriftstellerische Initiative lähmte; denn Paulus hatte sein
Briefwerk längst in Angriff genommen, bevor ihn erste Zweifel an der
baldigen Wiederkunft des Herrn überkamen.42 Vielmehr kann gerade er
als Kronzeuge dafür gelten, daß das Trauma der Parusieverzögerung, an
dem im Blick auf derart massive Hinweise wie denen des Zweiten Pe-
trusbriefs (3,1-13) nicht gezweifelt werden sollte, vornehmlich durch die
Verschriftung der Botschaft und die durch sie (nach 2 Petr 1,15) gewähr-
leistete Traditionsbewahrung kompensiert wurde.43
Auf den persönlichen Impuls zurückbezogen, besagt das, daß es letzt-
lich die brennende Sorge um die von ihm gegründeten Gemeinden war,
die den Apostel zur Abfassung seiner Briefe veranlaßte. Wenn aber
diese Annahme zutrifft, zog er durch seine schriftstellerische Tätigkeit
mit dem tiefsten Sinn sprachlicher Äußerung gleich, die jenseits ihres
Informationswertes „eine Form der Liebe“ ist.44 Nicht umsonst gipfelt
das paulinische Briefwerk in den beiden Hymnen auf die Liebe, die in
ihrer Unterschiedlichkeit, wie noch kaum erkannt wurde, die wesentli-
che Lebensspanne des Apostels ausmessen und überdies einen Begriff
von seiner schriftstellerischen Entwicklung vermittelt. Der ungleich be-
rühmtere unter ihnen, der von Johannes Brahms in seinen ,Vier ern-
sten Gesängen1 (von 1896) vertonte Hymnus des Ersten Korintherbriefs
(13,1-13), ist, wie schon die Häufung negativer Wendungen lehrt, aus
der Position des Entbehrenden verfaßt, dem das Erfüllungsziel seiner
Sehnsucht erst in der Damaskusvision enthüllt wurde.45
Um so entschiedener spricht dann der hymnische Ausklang des Geist-
kapitels seines Römerbriefs (8,31-38) von der Liebe, die für Paulus nun
das personale Antlitz dessen trägt, der ihm (nach Gal. 1,15 f.) zum Sinn-
ziel und (nach Phil. 1,21) zum Lebensinhalt wurde:
42 Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 287.
43 Dazu P.-G. Müller, Der Traditionsprozeß im Neuen Testament, 266f.
44 Dazu außer dem in den sprachtheoretischen Vorüberlegungen gebotenen Erklärungs-
versuch die Ausführungen meiner Studie ,Überredung zur Liebe. Die dichterische Da-
seinsdeutung Gertrud von le Forts“, Regensburg 1980, 226-234.
45 Dazu Hans Gahl, Johannes Brahms. Werk und Persönlichkeit, Frankfurt 1980, 160-
163. Ferner Ernst Hoffmann, Platonismus und christliche Philosophie, Zürich und
Stuttgart 1960, 187-206. Die von Hoffmann herausgestellten Querverbindungen zu
platonischen Bildvergleichen (Spiegel, Stückwerk) sprechen durchaus für die An-
nahme einer „vorpaulinischen“ Entstehung des Hymnus, sofern Paulus im Maß seiner
christlichen Identitätsfindung die hellenistischen Bildungs- und Sprachrelikte zugun-
sten der von ihm geschaffenen Verkündigungssprache hinter sich ließ; dazu die Aus-
führungen meiner Schrift ,Paulus für Christen“, Freiburg 1985, 118ff.; 164.
 
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