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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0031
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Die Bibel als Medium

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im Galaterbrief betont, daß er sein Evangelium weder erdacht noch
erlernt, sondern aus göttlicher Offenbarung empfangen habe (1,10ff.),
bestätigt er der Gemeinde von Thessalonike, daß sie seine Verkün-
digung nicht als Menschenwort, sondern, wie es der Wahrheit ent-
spreche, „als Gottes Wort“ aufgenommen habe (2,12). Und im glei-
chen Sinn erhebt er der Gemeinde von Korinth gegenüber den An-
spruch:
Wir sind Gesandte an Christi Statt. Gott selbst ist es, der durch uns mahnt. An Christi
Stelle bitten wir: laßt euch mit Gott versöhnen! (2Kor 5,20)
Sind schon diese Sätze im Kontext der mündlichen Verkündigung un-
denkbar, so bei der Zurückhaltung des Apostels in den seine Innerlich-
keit betreffenden Dingen erst recht die bekenntnishaften Worte, die von
seiner Identitäts- und Sinnfindung in Christus (Gal. 2,20; Phil. 1,21)
sprechen. Nur dem Begleitbewußtsein des Schriftstellers entsprechen
aber auch die Äußerungen, die nach Art des „hermeneutischen Rück-
meldeeffekts“ von seiner Konzeption und ihrer Umsetzung berichten.
Grundlegend ist dafür die Feststellung Günter Bornkamms, daß Paulus
bei der Vorhaltung:
Ihr dummen Galater, wer hat euch nur verhext, euch, denen doch Christus als Ge-
kreuzigter vor Augen gestellt wurde (3,1),
keine Bildvorstellung, sondern die Proklamation eines Dekrets im Sinne
hatte.50 Denn damit deutet er das Kreuz als die Magna Charta der Got-
tesoffenbarung, die zu einem gläubigen Leseakt herausfordert und von
ihm demgemäß auch selbst, ganz im Sinne seines Schreibverhaltens,
nach Art einer „Lektüre“ expliziert wird. Dies vorausgesetzt, führt von
hier eine direkte Linie zu der Korintherstelle, die sich wie eine Selbst-
reflexion auf diesen Lesevorgang ausnimmt und bei näherem Zusehen
auch tatsächlich Strukturen eines Verstehensaktes nachzeichnet. „Nicht
wie Mose“, versichert der Apostel hier seinen Adressaten, nähere sich
der Gläubige der in Christus an ihn ergehenden Gottesoffenbarung;
denn Mose habe „mit verhülltem Antlitz“ auf das Gesetz verwiesen,
damit niemand das Verblassen des Glanzes, der von ihm ausging, be-
merkte. Ganz anders der Gläubige; denn:
Der Herr ist der Geist, und wo der Geist des Herrn waltet, ist Freiheit. Wir alle aber
spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn und werden so von
50 Bornkamm, Paulus (durchgesehene Taschenbuch-Ausgabe der Erstveröffentlichung
von 1972), Stuttgart 1977,167. So auch Gottlob Schrenk in seinem Beitrag zum Theo-
logischen Wörterbuch zum Neuen Testament I, Stuttgart 1949, 771.
 
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