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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0036
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Eugen Biser

worte, gesagt worden war. Auf dieser Basis dürften insbesondere eine
Reihe von - sekundären - Gleichnissen entstanden sein; so etwa das
Gleichnis vom Nächtlichen Einbruch (Mt 24,42ff.) im Anschluß an das
Wort vom diebessicheren Schatz im Himmel (Mt 6,19f.); das Gleichnis
vom Teufelhaus (Lk 11,24ff.) im Anschluß an die Selbstrechtfertigung
Jesu (Lk ll,20ff.); das Gleichnis von der Verschlossenen Tür (Lk 13,25-
30) im Anschluß an die Aufforderung zum Eintritt durch die enge Tür
(Lk 13,24); das Gleichnis vom Großen Gastmahl (Lk 14,16-24) im An-
schluß an die Seligpreisung eines Tischgenossen (Lk 14,15) oder auch
die Ausgestaltung des Vergleichs vom Splitter und Balken (Lk 6,42ff.)
in unmittelbarem Anschluß an dessen appellative Fassung (Lk 6,41).
Für die analoge Entstehungsart von Wunderszenen bietet das Johannes-
evangelium eine ganze Reihe von Beispielen (die Brotvermehrung aus
dem Wort „Ich bin das Brot des Lebens“; die Heilung des Blindgebore-
nen aus dem Wort „Ich bin das Licht der Welt“, die Auferweckung des
Lazarus aus dem Wort „Ich bin die Auferstehung und das Leben“).
Indessen zieht auch die Dehnung einen Qualitätsverlust nach Art des-
sen nach, wie er im Fall der Abbreviatur von Paulus beklagt worden war.
Er besteht in einer Verflachung der Aussage zum Lehrhaft-Erbaulichen
hin. Besonders typisch sind dafür die einigen Gleichnissen Jesu angefüg-
ten Deutungen, die durchweg einer lehrhaften Allegorisierung der ap-
pellativen Aussage gleichkommen.61 Doch hätten sie so kaum in den
Text interpoliert werden können, wenn dieser nicht schon aufgrund sei-
ner textualen Strukturierung einen Anreiz dazu geboten hätte. Was aber
die zentrale Auswirkung der Textualität anlangt, so lag sie zweifellos im
Methodenbereich. Der „tote Buchstabe“ zog als Schlüssel die histori-
sche Kritik nach sich. Dabei ergab sich, historisch gesehen, die paradoxe
Situation, daß Lessing, der in seiner Flugschrift vom ,Beweis des Gei-
stes und der Kraft‘ (von 1777) deren Schwund so eindringlich beklagt
hatte, mit der Veröffentlichung der „Wolfenbüttler Fragmente“ gerade
der Methode Vorschub leistete, die dem geist- und kraftlos gewordenen
Text entspricht.62 Da sie von ihrem Urheber Reimarus her eindeutig als
Deutungsinstrument „innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“
konzipiert worden war, hat sie als die auf den Bibeltext angesetzte
Speerspitze des offenbarungskritisch-säkularistischen Bewußtseins zu
gelten. Als solche förderte sie eine Fülle unverzichtbarer Ergebnisse zu-
61 Dazu Norman Perrin, Was lehrte Jesus wirklich? Rekonstruktion und Deutung, Göt-
tingen 1972, 82; 124; 171 f.
62 Dazu Perrin, A.a.O., 239ff.
 
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