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Jayme, Erik; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 1. Abhandlung): "Entartete Kunst" und internationales Privatrecht: vorgetragen am 6. November 1993 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48170#0020
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Erik Jayme

„Nationalsozialistischen „Rechtsvorschriften kann die Gel-
tung als Recht abgesprochen werden, wenn sie fundamenta-
len Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen,
daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen
anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde.“
Ein solcher Leitsatz folgt Gedanken, die vor allem Radbruch unmit-
telbar nach dem Kriege vorgetragen hatte, insbesondere in seinem
1946 erschienenen Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetz-
liches Recht“.17 Radbruch sah klar, daß zwar das positive Gesetz
ohne Rücksicht auf seinen Inhalt der Rechtssicherheit dient, was
ebenfalls einer Forderung der Gerechtigkeit entspricht. Er fährt
aber fort18:
„Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssi-
cherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch
Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang
hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es
sei denn daß der Widerspruch des positiven Gesetzes ein so
unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als „unrichtiges
Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“
Solche Gesetze - so sagt das Bundesverfassungsgericht19 - sind von
Anfang an als nichtig anzusehen. Die Entscheidung betraf die Aus-
bürgerung emigrierter Juden in einem Fall des internationalen
Erbrechts, bei dem es auf die deutsche Staatsangehörigkeit des
Erblassers ankam20. Das Gericht entschied, daß die Ausbürgerung
unwirksam war.
Bei dem Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter
Kunst liegt es nahe, heute ebenfalls Rechtswirkungen zu verneinen,
so sehr widerspricht das Gesetz fundamentalen Rechtsvorstellun-
gen über Würde und Wert der Person21, dem Schutz des Eigentums

17 Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juri-
sten-Zeitung 1946, 105ff.
18 Radbruch, vorige Note, S. 107.
19 Oben Note 16, S. 99.
20 Vgl. Art. 24 Abs. 1 EGBGB a.F.
21 Art. 1 GG.
In der Diskussion zu diesem Vortrag wurde hervorgehoben, daß auch die
Persönlichkeit des Künstlers betroffen war.
 
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