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Jayme, Erik; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 1. Abhandlung): "Entartete Kunst" und internationales Privatrecht: vorgetragen am 6. November 1993 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48170#0021
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Entartete Kunst

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und der Freiheit der Kunst.22 Bei der Einziehung „entarteter Kunst“
spielten zwar nicht nur rassische Gesichtspunkte eine Rolle23, die
zum Entzug des Eigentums führten. Betroffen war die ganze -
heute klassische - moderne Kunst; beschlagnahmt wurden Werke
von Nolde, Kirchner, Heckel, Klee und Kandinsky, um nur einige
Namen zu nennen.24 Ein Göbbels-Erlaß sprach eher vage von Wer-
ken,
„die das deutsche Gefühl beleidigen oder die natürliche Form
zerstören oder verstümmeln.“25
Gleichwohl wird man die organisierte Verfemung und Vernichtung
dieser Werke und die Eingriffe in die Menschenrechte der Betroffe-
nen als so unerträglich ansehen müssen, daß das nationalsozialisti-
sche Gesetz von 1938 als Unrecht im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts anzusehen ist.

22 Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG umfaßt sowohl die eigentliche
künstlerische Betätigung, den „Werkbereich“ des künstlerischen Schaffens, als
auch den „Wirkbereich“, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk
verschafft wird, also seine Darbietung und Verbreitung, so BVerfG, 3.11.1987,
BVerfGE 77, 240ff., 251 (mit Nachweisen).
Zum „weiten Kunstbegriff“ des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. Karpen/Hofer, Die
Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG in der Rechtsprechung seit 1985, JZ 1992,951,
952ff.; zu ähnlichen Fragen des italienischen Rechts vgl. Conrad, Die Freiheit
der Kunst nach der italienischen Verfassung, in: Jahrbuch für Italienisches
Recht 5 (1992), S. 123ff.
23 Vgl. hierzu KG, 8.1.1965, RzW 1965, 161f.: „Unter „entartet“ verstanden diese
[die Nationalsozialisten] weitgehend alle ihnen nicht genehmen Kunstwerke,
demnach nicht nur Werke moderner Kunstrichtungen, sondern insbesondere
auch Arbeiten jüdischer Künstler gleich welcher Gesinnung und welchen Stils,
Werke mit pazifistischen Themen und anderes.“
24 Vgl. hierzu von Lüttichau, Rekonstruktion der Ausstellung „Entartete Kunst“ -
München 19. Juli - 30. November 1937, in: Schuster (Hrsg.), Die „Kunststadt“
München 1937 - Nationalsozialismus und „Entartete Kunst“, 3. Aufl. München
1988, S. 120ff.
25 Zitiert nach Barron, oben Note 1, S. 19.
Das Vokabular war z.T. nur eine Vergröberung früherer Diskussionen um das
Wesen „deutscher Kunst“ Vgl. hierzu eindrucksvoll Belting, Die Deutschen und
ihre Kunst - Ein schwieriges Erbe, 1992, der in dem Abschnitt „Die Ächtung des
deutschen Expressionismus und die „Entartete Kunst““, S.41, schreibt: „Die
Nationalsozialisten konnten eine Generation später alle Parolen, die sie
brauchten, aus der Tradition der Debatte um deutsche Kunst abrufen.“
 
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