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zweite verteidigungsschrift (1543)
werde sünd geheyssen darumb, das sie ein vrsache der sünden seye ¹ .Wie
braucht er aber an diesem ort das wort sünde? »Sünde – spricht er glych daruff
– sind die nach dem gelust des fleysches vngepürlich gethan, geredt oder
gedacht werdenn« ² . Soliche sünde ist ja nicht der angeporen böse gelust,
Dann der nichts thätlichs ist, das man mit gedancken, worten oder wercken
wider Gottes gesetz thue, Sonder eine böse sucht vnd neygung wider Gottes
gesetz.
Also sagt dieser lehrer im anderen buch (contra Iulianum) ³ . Diese sucht
würdt sünd genant nit des halben, das sie vns der straffen Gottes schuldig mache,
sonder von des wegen, das sie von der sünden herkommet vnd vnderstaht
⁴ vns zu ziehen zur sünden, durch das sie dem geyst widerspenstig ist.
Derhalben wenn man sünd vnd vnrecht das allein heißen will, das vom
menschen williglich gedacht, geredt oder gethan würt wider Gottes gesetz
vnd jn des zorn Gottes schüldig machet, also ist der vberblibene böse gelust
in den Christen, so lang sie des bösen lusten vnd bewegnüssen ⁵ nit stat geben,
nit sünd. So man aber alles, das sünd heysset, wie man solle vnd der H. Geyst
selb thut vnnd lehret, was im menschenn dem Göt- | iiijb/Aiiijb | lichenn gesatz
widerstrebet, Also heißt nit allein diese vberblibene widerspenstigkeyt,
sonder ist auch ein ware vnd schwere sünd, Dann sie wider das zehende gepot
Gottes ist ⁶ : »Laß dich nit gelusten.« Darumb der H. Paulus sagt ⁷ : »Aber die
sünd erkennet ich nicht on durchs gesetz. Dann ich wust nichts von der lust,
wa ⁸ das gesetz nicht hette gesaget: ›Laß dich nit gelustenn‹.« Nun des gelustens
befande der H. Paulus bey sich auch nach dem Tauff vnd befinden sein
alle Heyligen, so lang sie hie in diesem fleysch leben.
Weil sie dann erkennen, das dieser gelust in jhnen wider das gesetz Gottes
strebet vnd sie alle vberzeuget, das sie Got noch nit von gantzem hertzen,
gantzer seelen vnd allen krefften lieben ⁹ – dann wa ¹⁰ die liebe zu Got gantz
were, könde oder möchte sie nichts gelusten, das er verpeutet ¹¹ – so muß sie ja
dieses argen auch von hertzen reuwen. Vnd auß solcher rew vnd leydt vber
diese sünde schreien sie mit Paulo ¹² : »Jch ellender mensch, wer würdt mich er-
1. Augustinus, Contra duas epistolas Pelagianorum ad Bonifacium I,13. PL 44, Sp. 563,5–
7; CSEL 60, S.445,19–21.
2. Augustinus, Contra duas epistolas Pelagianorum ad Bonifacium I,13. PL 44, Sp. 563,9–
11; CSEL 60, S.445,22f.
3. Augustinus, Contra secundam Iuliani responsionem II,226. PL45, Sp.1243.
4. maßt sich an, wagt.
5. Beweggründen, Absichten.
6. Ex 20,17.
7. Röm 7,7–8.
8. wenn.
9. Dtn 6,5.
10. wenn.
11. verbietet.
12. Röm 7,24.
13. richtig Röm 7,24.
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Was eygentlich
sünde
Rom. 7[7]: Gelust
ist wider das zehend
gepot, darumb
auch sünd.
Rom. 8 ¹³
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zweite verteidigungsschrift (1543)
werde sünd geheyssen darumb, das sie ein vrsache der sünden seye ¹ .Wie
braucht er aber an diesem ort das wort sünde? »Sünde – spricht er glych daruff
– sind die nach dem gelust des fleysches vngepürlich gethan, geredt oder
gedacht werdenn« ² . Soliche sünde ist ja nicht der angeporen böse gelust,
Dann der nichts thätlichs ist, das man mit gedancken, worten oder wercken
wider Gottes gesetz thue, Sonder eine böse sucht vnd neygung wider Gottes
gesetz.
Also sagt dieser lehrer im anderen buch (contra Iulianum) ³ . Diese sucht
würdt sünd genant nit des halben, das sie vns der straffen Gottes schuldig mache,
sonder von des wegen, das sie von der sünden herkommet vnd vnderstaht
⁴ vns zu ziehen zur sünden, durch das sie dem geyst widerspenstig ist.
Derhalben wenn man sünd vnd vnrecht das allein heißen will, das vom
menschen williglich gedacht, geredt oder gethan würt wider Gottes gesetz
vnd jn des zorn Gottes schüldig machet, also ist der vberblibene böse gelust
in den Christen, so lang sie des bösen lusten vnd bewegnüssen ⁵ nit stat geben,
nit sünd. So man aber alles, das sünd heysset, wie man solle vnd der H. Geyst
selb thut vnnd lehret, was im menschenn dem Göt- | iiijb/Aiiijb | lichenn gesatz
widerstrebet, Also heißt nit allein diese vberblibene widerspenstigkeyt,
sonder ist auch ein ware vnd schwere sünd, Dann sie wider das zehende gepot
Gottes ist ⁶ : »Laß dich nit gelusten.« Darumb der H. Paulus sagt ⁷ : »Aber die
sünd erkennet ich nicht on durchs gesetz. Dann ich wust nichts von der lust,
wa ⁸ das gesetz nicht hette gesaget: ›Laß dich nit gelustenn‹.« Nun des gelustens
befande der H. Paulus bey sich auch nach dem Tauff vnd befinden sein
alle Heyligen, so lang sie hie in diesem fleysch leben.
Weil sie dann erkennen, das dieser gelust in jhnen wider das gesetz Gottes
strebet vnd sie alle vberzeuget, das sie Got noch nit von gantzem hertzen,
gantzer seelen vnd allen krefften lieben ⁹ – dann wa ¹⁰ die liebe zu Got gantz
were, könde oder möchte sie nichts gelusten, das er verpeutet ¹¹ – so muß sie ja
dieses argen auch von hertzen reuwen. Vnd auß solcher rew vnd leydt vber
diese sünde schreien sie mit Paulo ¹² : »Jch ellender mensch, wer würdt mich er-
1. Augustinus, Contra duas epistolas Pelagianorum ad Bonifacium I,13. PL 44, Sp. 563,5–
7; CSEL 60, S.445,19–21.
2. Augustinus, Contra duas epistolas Pelagianorum ad Bonifacium I,13. PL 44, Sp. 563,9–
11; CSEL 60, S.445,22f.
3. Augustinus, Contra secundam Iuliani responsionem II,226. PL45, Sp.1243.
4. maßt sich an, wagt.
5. Beweggründen, Absichten.
6. Ex 20,17.
7. Röm 7,7–8.
8. wenn.
9. Dtn 6,5.
10. wenn.
11. verbietet.
12. Röm 7,24.
13. richtig Röm 7,24.
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Was eygentlich
sünde
Rom. 7[7]: Gelust
ist wider das zehend
gepot, darumb
auch sünd.
Rom. 8 ¹³