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Cucuel, Ernst [Bearb.]; Eckert, Hermann [Bearb.]; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 1 : Heidelberger Reihe ; Band 1): Die Inschriften des badischen Main- und Taubergrundes: Wertheim-Tauberbischofsheim — Stuttgart: Druckenmueller, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.53141#0032
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das Andenken eines Toten bewahrt (Nr. 102ff.), in jedem Fall entspringt sie fast ausschließlich
religiöser Haltung. Selbst die Nennung von Namen muß zunächst religiös verstanden werden: sie
geschieht vor allem um des Seelenheils willen. Der Stifter oder Gründer sollte in das Gebet der Nach-
geborenen aufgenommen werden, wie eine ausführliche Inschrift des 15. Jahrhunderts es auch aus-
spricht (Nr. 11), und in gleicher Weise sollte für die ewige Ruhe der Abgeschiedenen gesorgt werden.
Diese Vorherrschaft des Religiösen über die anderen geschichtlichen Kräfte hat einen sinnfälligen
Ausdruck gefunden: von den Grabinschriften der Zeit vor 1450 fällt mehr als die Hälfte allein auf
Rronnbach, das einzige Kloster der Gegend. Nur eine davon gilt einem Klosterangehörigen (Nr. 124),
alle anderen dagegen Laien, die sich mit Stiftungen einen Ruheplatz in der Kirche oder im Kreuz-
gang sicherten. Diese Laien nun stammen sowohl aus dem Süden wie aus dem Norden des Tauber-
gebietes, einige auch aus Würzburg. Sogar die Grafen von Wertheim ließen sich anfangs hier be-
statten (Nr. 115 f.), nicht anders als niedrige Dienstadlige der Gegend (Nr. 104) oder reiche Bürger
aus Wertheim (Nr. 141). Es ist möglich, daß das Kloster selbst durch eigene oder fremde Kräfte für
die Anfertigung der Grabplatten und ihrer Inschriften sorgte, wie es auch wahrscheinlich ist, daß
die ältesten Bauinschriften unserer Gegend den Geistlichen der Kirche ihre Entstehung verdanken.
Auch bei der ersten kann man dies annehmen, da dem Geistlichen vermutlich nicht weniger als
dem Stifter an der öffentlichen Niederschrift der Schenkung gelegen haben mag.
Die großen Herren gingen jedoch bald eigene Wege. Aus den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts
sind von ihnen drei Denkmäler erhalten, die in vieler Hinsicht über die Gewohnheiten der Zeit
vorher hinausgehen: das Grabmal des Grafen Gerhard von Rieneck (Nr. 116), die Inschrift des
Grafen Johann an der Wertheimer Stadtkirche (Nr. 5) und das Grabmal des Flerrn Eberhard von
Rosenberg (Nr. 117). Zwar scheint die Bestattung Adliger in der zuständigen Pfarrkirche ebenso
alter Brauch zu sein wie die Beisetzung in einem begünstigten Kloster (vgl. Nr. 108f.) — bei Prie-
stern ist sie die Regel (Nr. 111, 118 u. a.) -, in den beiden genannten Fällen gewinnt sie aber
besondere Bedeutung. Die Inschriften beweisen, daß diese Denkmäler nicht aus überkommener
Gewohnheit errichtet wurden, denn beide bringen wesentliche Neuerungen: auf dem Grabmal
Gerhards die gotische Minuskel, auf dem Eberhards die deutsche Sprache. Beide aber stellen zum
erstenmal in unserem Gebiet den Ritter leibhaftig, in seinen Waffen stehend dar, und sicher ist
es nicht Zufall, daß dies gerade am Mittelpunkt seines Herrschaftsbereiches geschieht. Es sind schon
regelrechte Denkmäler, nicht mehr allein religiös zu verstehende Grabsteine. Ihnen stellt sich die
Gründungsinschrift der Wertheimer Stadtkirche würdig zur Seite. Wenn auch nicht mit dem Bilde
des Grafen, so doch mit seinem Wappen in großartiger Weise geschmückt, wirkt sie — namentlich
durch ihren Wortlaut — wie eine gräfliche Verfügung.
Diese drei Denkmäler lassen darauf schließen, daß die Führung im Inschriftenwesen um jene Zeit
bereits vom geistlichen auf den Adelsstand übergegangen war. Wohl blieben von Hause aus alle
Denkmäler in unserer Gegend noch lange durchaus religiöser Art, doch bekam der Adel als Auftrag-
geber immer stärkeren Einfluß. Die Errichtung eines Grabsteins gehörte im 15. Jahrhundert schon
zum Abschluß der ritterlichen Lebensführung, und so konnte weltlich-ritterliche Gesinnung un-
vermerkt und stetig in die ursprünglich religiösen Formen einfließen. Sie äußert sich im Aufkom-
men des Ahnennachweises (Nr. 120), dem Doppel von Grabplatte und Denkmal (Nr. 120, 129)
und endlich dem immer häufigeren Gebrauch der deutschen Sprache, während die Grabschriften
der Geistlichen stets am Latein festhalten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begegnen dann auch
Denkmäler rein weltlicher Art: eine Gründungsinschrift einer Burg (Nr. 21) — in ihrer Gesamt-
anlage ein merkwürdiger Versuch, religiöse Formen ritterlichen Bedürfnissen dienstbar zu machen —
und schließlich zwei Namensnennungen (Nr. 23 u. 24), die nun schon als Zeichen der Flerrschaft
und des Besitzes, nicht mehr als Anruf und Bitte um ein Gebet verstanden werden sollen.
Inzwischen hat als dritte Macht das aufstrebende Bürgertum am Inschriftenwesen tätigen Anteil
genommen. Von einigen wenigen Ausnahmen (z. B. Nr. 103) abgesehen, die sich ganz im Rahmen
der damals üblichen Formen halten, bleiben in unsrer Gegend die Inschriften bis 1440 eine rein
klerikale und aristokratische Angelegenheit. In den vierziger Jahren wandelt sich das Bild rasch.
Es sind vor allem die öffentlichen Bauten, an denen das Bürgertum zunächst Anteil nahm. 1447
wurde in Wertheim die Synagoge zerstört und an ihrer Stelle, wohl mit bürgerlichen Mitteln, eine
Kapelle errichtet: das Ereignis wurde inschriftlich festgehalten (Nr. 10), natürlich dem Bürgertum
gemäß in deutscher Sprache — während der Bau einer Klerikerbücherei an der Hauptkirche zwei
Jahre zuvor noch lateinisch berichtet wurde (Nr. 9). 1448 nennen sich bereits zwei bürgerliche
Stifter auf dem Sakramentshäuschen in Tauberbischofsheim (Nr. 490), ünd auf bürgerlichem Ein-
fluß beruhen wohl auch die nun häufiger werdenden deutschsprachigen Meisterinschriften (Nr. 14,
445, 447, 491), nachdem schon vereinzelt zwei Glockengießer um 1400 und 1431 vorangegangen

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