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Cucuel, Ernst [Bearb.]; Eckert, Hermann [Bearb.]; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 1 : Heidelberger Reihe ; Band 1): Die Inschriften des badischen Main- und Taubergrundes: Wertheim-Tauberbischofsheim — Stuttgart: Druckenmueller, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.53141#0036
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den unmittelbaren Wortsinn auch ausdeutet (Nr. 18). Und im Untergeschoß der Wertheimer
Kilianskapelle wird die Bitte an Gott geradezu von den vier Bauleuten gesprochen, deren Köpfe das
Gewölbe tragen (Nr. 14). Ebenso glücklich wußte auch das 16. Jahrhundert noch Spruch und Plastik
zu vereinen. Das Wertheimer Haus zu den vier Gekrönten (Nr. 53), der Engelbrunnen (Nr. 45)
und der Fries in der Maingasse (Nr. 41) bieten schöne Beispiele. Sie werden noch übertroffen durch
den Fries mit den Totengerippen und der Sanduhr (Nr. 43), dessen Gesamtwirkung an dem kleinen
Wertheimer Platz, auf dem auch der Engelbrunnen steht, Abbildungen nicht wiedergeben können.
DIE GRAB- UND GEDÄCHTNISINSCHRIFTEN
Schon eine flüchtige Durchsicht läßt in der langen Reihe unserer Grabschriften Unterschiede und
Übereinstimmungen erkennen, die einen tieferen Grund haben müssen. Die Inschriften des Mittel-
alters sind ohne Ausnahme eindringlich kurz, viele der Neuzeit dagegen umfangreich und ge-
sprächig (vgl. Nr. 102 mit 337). Die mittelalterlichen berichten in nüchterner Sprache fast nur
vom Tode eines Menschen, die neueren hingegen erzählen verschiedentlich in beredten, bisweilen
sogar dichterischen Worten von seinem Leben und seinen Taten (z. B. Nr. 214, 244). Das Mittel-
alter bedient sich mit Vorliebe des unpersönlichen Ausdrucks, es kleidet die wechselnden Angaben
in immer wiederkehrende, gleichbleibende Formeln, so daß kaum eine dieser Inschriften einzig in
ihrer Art genannt werden darf - die spätere Zeit sucht den überkommenen Formen neue an die
Seite zu stellen, sie erstrebt Abwechslung und in den vornehmen Erscheinungen auch Einmalig-
keit ihrer Fassung (vgl. Nr. 276).
Aus diesen leicht noch zu vermehrenden Unterschieden wird bereits deutlich, daß in unseren
Grabschriften die allgemeine geistige Entwicklung der Zeiten sich unmittelbar ausspricht. Denn
es ist sichtbarlich die neue Wertung des Lebens und Wirkens im Diesseits, die den Wandel von
Inhalt und Form zu Beginn des 16. Jahrhunderts bedingt. Unsere Texte beweisen das selbst. Die
beiden ersten, die mit der mittelalterlichen Gewohnheit völlig brechen (Nr. 214 u. 215), wirken
wie ein Programm der neuen Zeit: in ihnen ist der Mensch ganz diesseitig gesehen, nach allen
seinen Taten und allen seinen Tugenden, und die Inschriften dienen lediglich dem Zweck, dies
Bild zu seinem Nachruhm für alle Zeiten festzuhalten.
Von hier gilt es auszugehen. Denn von dem sicheren Standpunkt, den diese eindeutigen Beispiele in der
Vielfalt der Erscheinungen bieten, läßt sich am leichtesten die ganze zurückliegende und nachfolgende
Entwicklung unserer Grabschriften überblicken und ihr jeweiliger, zeitbedingter Sinn erschließen.
Diese beiden ersten neuzeitlichen Denkmäler müssen auch noch in anderer Hinsicht als Denkmäler
im besonderen Sinn des Wortes angesehen werden: der Tote liegt an ganz anderer Stelle bestattet.
Sehr viele Inschriften der neuen Zeit sind in gleicher Weise keine eigentlichen Grabinschriften.
Auf Gedenktafeln und Totenschildern angebracht oder mit mächtigen Wand- und Prunkgrab-
mälern zugleich wollen sie mehr vom Ansehen und der Geltung eines Menschen oder einer Familie
berichten als vom Tod. Zwar kennt auch das späte Mittelalter schon den Brauch, einem Vornehmen
zwei Totenmaie zu widmen: eine Platte, mit der das Grab geschlossen wurde, und ein Denkmal
an der Wand oder einem Pfeiler (z. B. Nr. 120 u. 129), doch herrschen in den älteren Inschriften
andere Gedanken vor. Denn wo solche Denkmäler sich finden, da wiederholen sie nur die Inschrift
der zugehörigen Grabplatte. Die älteren Inschriften sind also von Hause aus wirkliche Grab-
inschriften: sie bezeichnen den Ort, wo der Verstorbene ruht — sie umgrenzen sogar die Stelle des
Grabes — und sie sagen zunächst nur aus, daß im angegebenen Jahre und am genannten Tag der
Mensch dieses Namens starb (z. B. Nr. 102). Nur eine Angabe des Standes mit Wörtern wie „Gomes,
miles, armiger oder Civis“, im Deutschen „her“, kann noch dazutreten, anfangs jedoch stets ohne
Beiwort und ohne jeden weiteren Zusatz.
Die Verzeichnung gerade dieser wenigen trockenen Tatsachen ist weder Beschränkung noch
geistige Armut. Sie hat einen tieferen Grund. Auf Grabplatten noch älterer Zeit — sie fehlen im
badischen Main- und Tauberland — findet sich sogar das Todesjahr nicht angegeben. Dagegen ist
der Todestag auch da genau vermerkt. Und auf zwei unserer Grabplatten sind die beiden Daten
in auffälliger Weise getrennt: Der Tag steht am Schluß der Inschrift und hebt sich dadurch hervor
(Nr. 123 u. 132). Der Todestag aber bedeutet dem mittelalterlichen Menschen darum so viel, weil
an ihm alle Jahre die Seelenmessen gehalten wurden, um deren willen der Verstorbene schon zeit-
lebens die Kirche oder das Kloster seines späteren Begräbnisses beschenkt hatte (z. B. Nr. 125). Die
Inschriften der älteren Grabplatten wollen also an die Einhaltung dieser Anniversarien mahnen,
und sie bezeichnen zugleich die Stelle des Grabes, damit die Lebenden durch Gebet und Bespren-
gung mit Weihwasser zur Hilfe für die arme Seele beitragen.

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