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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]; Cucuel, Ernst [Bearb.]; Eckert, Hermann [Bearb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 1 : Heidelberger Reihe ; Band 1): Die Inschriften des badischen Main- und Taubergrundes: Wertheim-Tauberbischofsheim — Stuttgart: Druckenmueller, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.53141#0037
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Dieser Wunsch nach Fürsprache für das ewige Heil des Verstorbenen hat in einer unserer ältesten
Inschriften noch besonderen Ausdruck gefunden: Die Grabschrift sagt dem Besucher eine Segens-
formel - ein kurzes Gebet - für den Toten vor (Nr. 103). Obwohl solcherlei im 13. und 14. Jahr-
hundert keineswegs allgemein üblich war (vgl. Nr. 104-118), spricht sich hier Sinn und Zweck der
Grabschrift jener Zeiten einmal besonders deutlich aus.
Im 15. Jahrhundert werden dann auch solche Segensformeln zum festen Bestandteil einer jeden
Grabschrift. Um 1400 (Nr. 119 ff.) - vielleicht im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Klein-
buchstabenschrift, die enger zusammenging und somit größeren Texten Raum bot - tauchen die
ersten auf, und bereits zwei Jahrzehnte danach ist diese Sitte im Taubergebiet Allgemeingut ge-
worden. Von da an hat sie sich bis zum Ende des Mittelalters gehalten, in einer Starre und Aus-
nahmslosigkeit, die nur dadurch erklärt werden kann, daß sie unmittelbarer Ausdruck mittelalter-
licher Geisteshaltung ist.
Im Laufe des 15. Jahrhunderts schleichen sich in diese zunächst rein religiös erscheinenden Texte
allmählich aber auch Gedanken anderer Herkunft ein. Hie und da genügt die einfache Standes-
bezeichnung, wie sie in der älteren Zeit üblich war, nicht mehr. In einer Inschrift aus der Mitte
des 15. Jahrhunderts (Nr. 129/130, wohl gleichzeitig mit Nr. 139/140) wird uns der Verstorbene
als „strenuus vir dominus Petrus de Stetinberg miles“ vorgestellt - sicher nicht nur aus der Sorge
für sein Seelenheil. Das geht auch daraus hervor, daß ihm zugleich mit der Grabplatte ein Denk-
mal mit seinem Bildnis an einem Pfeiler der Kirche errichtet wurde, dem man die gleichen Worte
als Umschrift beigab. Und da ist der Ritter keineswegs dargestellt als einer, der gestorben ist und
nun im Todesschlaf der Auferstehung harrt, sondern da steht wirklich der ,,strenuus vir“ und will
in dieser Gestalt in dem Gedächtnis der Menschen fortleben. Dabei bringt die bildliche Darstellung
diesen weltlichen Gedanken, der auch schon für die frühere Zeit, wenn auch nicht vorherrschend,
vorausgesetzt werden muß, früher zum Ausdruck als dieTexte (s. z. B. Bild zu Nr. 117). In den In-
schriften machen sich zunächst nur geringe Veränderungen bemerkbar, die aber nicht zu leicht ge-
nommen werden dürfen. Es bedeutet schon etwas, wenn in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
die Beiwörter immer häufiger werden (vgl. Nr. 138, 154, 158, 160, 163, 166) und schließlich auch
andere Angaben mit sich bringen. Auf einer Grabplatte eines Bronnbacher Abtes von 1452 findet
sich bereits die Dauer seiner Amtszeit angegeben (Nr. 149), und auf einer bürgerlichen Doppel-
grabplatte von 1484 wird berichtet, wer von den Ehegatten der ältere war (Nr. 170). Oder es ist
beigefügt, daß der Verstorbene die Kapelle, in der er ruht, gegründet habe (Nr. 171; vgl. dagegen
Nr. 120). Ein andermal wird der Tote ein „getreuer Diener der Herrschaft“ genannt (Nr. 180),
und in einem Fall wird sogar der gewaltsame Tod erwähnt (Nr. 203; vgl. dagegen Nr. 117). Auch
eine Angabe wie „der zeit schultes“ kommt am Ausgang des Mittelalters schon vor (Nr. 200).
Das alles sind Vorboten einer neuen Zeit, die im badischen Main- und Taubergebiet nun aber ganz
anders hereinbricht als im bisherigen Gang der Entwicklung zu erwarten steht: nicht als Fortbil-
dung der älteren Formen, sondern als fremdes, eingeführtes Gut. 1522 lautet eine Wertheimer
Grabschrift noch völlig herkömmlich (Nr. 206). Im selben Jahr — im Vergleich zu anderen Gegen-
den also sehr spät — begegnet im Kloster Bronnbach die erste humanistische Inschrift (Nr. 207).
Im Gesamtbild unserer Grabschriften steht sie aber noch lange allein. Die Denkmäler nach ihr
setzen bis in die vierziger Jahre unbekümmert die mittelalterliche Tradition fort, so daß die Bronn-
bacher Inschrift nur als Vorbote gelten kann. Sie ist bezeichnenderweise auch noch in gotischen
Minuskeln eingehauen, und ebenso trägt die Reliefdarstellung in ihrer Gesamtanlage kein anderes
Gepräge als die Platten des ausgehenden 15. Jahrhunderts.
Erst in den vierziger Jahren halten nun Renaissance und Humanismus im badischen Main- und
Taubergebiet endgültigen Einzug, mit jenen schon eingangs erwähnten Denkmälern (Nr. 214
u. 215). Sowohl in ihrem Inhalt, den man eine Summe der neuen Lebensanschauung nennen
kann, wie in ihrer Form brechen sie ganz mit allem bisher Üblichen. Bis in Kleinigkeiten läßt sich
der innere Gegensatz verfolgen. Was im Mittelalter wesentlich war: die Nennung des Todestages,
wird hier als belanglos weggelassen; nur anmerkungsweise ist am Schluß das Todesjahr beigefügt.
Dagegen wird erwähnt, wie lange der Graf lebte, sogar auf den Monat genau. Auch die religiöse
Segensformel ist weggefallen; an ihre Stelle ist das Fortleben des Toten als eines rühmlichen Vor-
bildes im Gedächtnis der Lebenden getreten. Zum Gesamteindruck gehört natürlich auch, daß die
Schrift in Antiqua-Kapitalen eingemeißelt ist.
Allgemeingut im Sinne weiterer Verbreitung konnte diese Form der Grabschrift freilich niemals
werden. Doch drang die ihr zugrunde liegende Weltanschauung Schritt für Schritt nun auch
in die volkstümlichen Formen ein, die aus dem 15. Jahrhundert weiterlebten. So behielt eine wenig
spätere Inschrift eines Bronnbacher Abtes einerseits die überkommenen Formeln bei, fügte anderer-

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