Im Stadtgebiet von Rothenburg4a) gibt es heute noch etwa 200 Inschriften aus der Zeit vor 1650. Das
ist trotz der hohen Verluste des 18. und 19. Jahrhunderts ein guter Bestand.
Welche Anlässe werden in einer Inschrift festgehalten und für welchen Personenkreis werden Inschriften
angefertigt?Wie bereits in antiker Zeit werden Inschriften auch im Mittelalter und in der Neuzeit im Zu-
sammenhang mit Baumaßnahmen angebracht, damit die Nachwelt zuverlässig erfährt, wann und von
wem ein Bau oder Bauteil errichtet wurde. Im Gegensatz zur Antike aber treten im Mittelalter die handeln-
den Personen nur sehr selten in Erscheinung* * 5). Der mittelalterliche Auftraggeber und die Baukünstler
bleiben meist absichtlich anonym. Dagegen wird hervorgehoben, daß die kirchlichen Bauten zur Ehre
Gottes, Jesu Christi, Marias und der Heiligen errichtet werden, so z. B. in der Bauinschrift an der Jakobs-
kirche (Nr. 25) oder an der Wolfgangskirche (Nr. 93). An weltlichen Bauten werden die Bauherren öfter
genannt, so Heinrich Toppier in der Bauinschrift an seinem Schlößchen (Nr. 29) und die beiden Bau-
meister Andreas Stüchs und Karl vom Rein im Ganserturm (Nr. 99t). Im 16. und 17. Jahrhundert werden
in den Bauinschriften die Bauherren meist zusammen mit ihren Wappen auf Inschrifttafeln festgehalten
(z. B. am Rathaus, Nr. 268); der Baukünstler ist mit seinen Initialen und seinem Zeichen vertreten (Nr. 348,
Nr. 509). Nicht nur ein Neubau, sondern auch eine Restaurierung ist Anlaß zu einer Inschrift (Nr. 357),
ebenso die Einweihung eines neu errichteten Gebäudes (Nr. 376t) oder die neue Bestimmung eines bereits
bestehenden Gebäudes (Nr. 217t).
Besonders bedeutsame Ereignisse können die Menschen veranlassen, sie in einer Inschrift augenfällig
der Nachwelt zu überliefern (z. B. Kriege, Seuchen, Hungersnot, Naturkatastrophe, Staatsbesuch usw.).
In Rothenburg nahm man den Besuch Karls V. und seines Bruders Ferdinand zum Anlaß für eine Inschrift-
tafel (Nr. 186). Auch das Pflanzen einer Linde wurde festgehalten (Nr. 358).
Die bei weitem wichtigste und umfangreichste Inschriftengruppe wird von den Inschriften zur Erin-
nerung an Verstorbene gebildet. Sie finden sich auf den Grabsteinen, die das Grab des Verstorbenen bedecken,
auf Epitaphien, die auf den Grabsteinen angebracht sind, auf Grabmälern (meist in der Nähe der Begräbnis-
stätte), auf Epitaphien, die ohne unmittelbare Beziehung zur Begräbnisstätte in einer Kirche aufgehängt
waren, und auf Totenschilden, von denen sich in Rothenburg trotz eines ehemals reichen Bestandes, wie
die schriftliche Überlieferung zeigt, ein einziger (Nr. 625) erhalten hat. Da die Inschriften im allgemeinen
bald nach dem Tode der genannten Personen angefertigt wurden, bilden sie für viele Namen eine wichtige,
wenn nicht gar in der Frühzeit die einzige zeitgenössische Quelle.
Wenn wir den Personenkreis betrachten, der eine Inschrift erhält und sie sich leisten kann (bei der
aufwendigen Herstellungsart der meisten Inschriften war dies auch ein finanzielles Problem), so stellen wir
fest, daß er sich zu Anfang der Inschriftenüberlieferung (Ende des 13.-14. Jahrhundert) fast ausnahmslos
aus Adeligen zusammensetzt. Zwei der in dieser Zeit genannten Personen sind Geistliche (Nr. 15 und
Nr. 19), eine gehört nach dem Wappen auf dem Grabstein zumindest zum Stadtpatriziat (Nr.27). Die Ade-
ligen hatten in der Umgebung von Rothenburg ihre Wohnsitze und ließen sich in der Stadt beisetzen. Als
Begräbnisplätze bevorzugten sie die beiden Klosterkirchen der Franziskaner und Dominikanerinnen und
die Spitalkirche, wobei die beiden letztgenannten auch besonders reich von dieser Personengruppe mit
Stiftungen bedacht wurden. Diese Adeligen waren zu einem Teil vermutlich Angehörige der staufischen
Ministerialität, die in Rothenburg und Umgebung ansässig geworden waren und im Laufe des 13. und 14.
Jahrhunderts mit dem frühen Stadtpatriziat verschmolzen, wie sich das auch in anderen Reichsstädten
belegen läßt6). Man kann diesen Vorgang epigraphisch leider nicht nachweisen, da sich die Adeligen auf
ihren Grabsteinen - zumindest bis 1400 - stets nach ihrer Burg oder ihrem Besitz nennen. Die wichtigsten
Namen sind: Nordenberg (4 mal genannt), Bebenburg, Seideneck,Wolmershausen (je 2 mal), dazu Flügelau,
Hohenlohe-Brauneck, Stetten, Tann, Weiltingen. Besonders dominierend ist die Gruppe der Nordenberger,
Seidenecker und Bebenburger, die, eng miteinander verwandt, offenbar großen Einfluß auf die frühe
Entwicklung der Stadt nahm7).
Nach 1400 erscheint dieser Personenkreis nur noch selten auf Rothenburger Inschriften. An seine Stelle
tritt nun das städtische Patriziat, das zu einem guten Teil mit dem Adel verwandtschaftlich verbunden ist.
In den Inschriften wird der einfache Familienname genannt mit dem Zusatz: „der Edel und Vest“, „der
Erber und Vest“ oder „die Erber Fraw“. Die bis zum Jahr 1550 am häufigsten genannten Namen sind:
4a) D. Lutz, Die Inschriften von Rothenburg ob der Tauber bis 1650 (Teildruck: Epigraphische Untersuchung),
Diss. Würzburg 1968, Kapitel II, bes. S. löff. (im folgenden zitiert: Lutz).
5) Eine Ausnahme ist z. B. die Inschrift auf der Mainzer Domtür um 1009, wo sowohl der Name des Auftrag-
gebers (ErzbischofWilligis) als auch der des Künstlers (Berenger) genannt ist. Vgl. Die Inschriften der Stadt Mainz
von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650. Gesammelt und bearb. von F. V. Arens auf Grund der Vorarbeiten von
K. F. Bauer (Die Deutschen Inschriften 2), Stuttgart 1958, S. 7, Nr. 5.
6) G. Wunder, Der Adel der Reichsstadt Hall im späten Mittelalter (Schriften zur Problematik der deut-
schen Führungsschichten in der Neuzeit 3), Limburg 1968, S. 277-298.
7) Vgl. Kdm. S. 6f., S. 27.
XII
ist trotz der hohen Verluste des 18. und 19. Jahrhunderts ein guter Bestand.
Welche Anlässe werden in einer Inschrift festgehalten und für welchen Personenkreis werden Inschriften
angefertigt?Wie bereits in antiker Zeit werden Inschriften auch im Mittelalter und in der Neuzeit im Zu-
sammenhang mit Baumaßnahmen angebracht, damit die Nachwelt zuverlässig erfährt, wann und von
wem ein Bau oder Bauteil errichtet wurde. Im Gegensatz zur Antike aber treten im Mittelalter die handeln-
den Personen nur sehr selten in Erscheinung* * 5). Der mittelalterliche Auftraggeber und die Baukünstler
bleiben meist absichtlich anonym. Dagegen wird hervorgehoben, daß die kirchlichen Bauten zur Ehre
Gottes, Jesu Christi, Marias und der Heiligen errichtet werden, so z. B. in der Bauinschrift an der Jakobs-
kirche (Nr. 25) oder an der Wolfgangskirche (Nr. 93). An weltlichen Bauten werden die Bauherren öfter
genannt, so Heinrich Toppier in der Bauinschrift an seinem Schlößchen (Nr. 29) und die beiden Bau-
meister Andreas Stüchs und Karl vom Rein im Ganserturm (Nr. 99t). Im 16. und 17. Jahrhundert werden
in den Bauinschriften die Bauherren meist zusammen mit ihren Wappen auf Inschrifttafeln festgehalten
(z. B. am Rathaus, Nr. 268); der Baukünstler ist mit seinen Initialen und seinem Zeichen vertreten (Nr. 348,
Nr. 509). Nicht nur ein Neubau, sondern auch eine Restaurierung ist Anlaß zu einer Inschrift (Nr. 357),
ebenso die Einweihung eines neu errichteten Gebäudes (Nr. 376t) oder die neue Bestimmung eines bereits
bestehenden Gebäudes (Nr. 217t).
Besonders bedeutsame Ereignisse können die Menschen veranlassen, sie in einer Inschrift augenfällig
der Nachwelt zu überliefern (z. B. Kriege, Seuchen, Hungersnot, Naturkatastrophe, Staatsbesuch usw.).
In Rothenburg nahm man den Besuch Karls V. und seines Bruders Ferdinand zum Anlaß für eine Inschrift-
tafel (Nr. 186). Auch das Pflanzen einer Linde wurde festgehalten (Nr. 358).
Die bei weitem wichtigste und umfangreichste Inschriftengruppe wird von den Inschriften zur Erin-
nerung an Verstorbene gebildet. Sie finden sich auf den Grabsteinen, die das Grab des Verstorbenen bedecken,
auf Epitaphien, die auf den Grabsteinen angebracht sind, auf Grabmälern (meist in der Nähe der Begräbnis-
stätte), auf Epitaphien, die ohne unmittelbare Beziehung zur Begräbnisstätte in einer Kirche aufgehängt
waren, und auf Totenschilden, von denen sich in Rothenburg trotz eines ehemals reichen Bestandes, wie
die schriftliche Überlieferung zeigt, ein einziger (Nr. 625) erhalten hat. Da die Inschriften im allgemeinen
bald nach dem Tode der genannten Personen angefertigt wurden, bilden sie für viele Namen eine wichtige,
wenn nicht gar in der Frühzeit die einzige zeitgenössische Quelle.
Wenn wir den Personenkreis betrachten, der eine Inschrift erhält und sie sich leisten kann (bei der
aufwendigen Herstellungsart der meisten Inschriften war dies auch ein finanzielles Problem), so stellen wir
fest, daß er sich zu Anfang der Inschriftenüberlieferung (Ende des 13.-14. Jahrhundert) fast ausnahmslos
aus Adeligen zusammensetzt. Zwei der in dieser Zeit genannten Personen sind Geistliche (Nr. 15 und
Nr. 19), eine gehört nach dem Wappen auf dem Grabstein zumindest zum Stadtpatriziat (Nr.27). Die Ade-
ligen hatten in der Umgebung von Rothenburg ihre Wohnsitze und ließen sich in der Stadt beisetzen. Als
Begräbnisplätze bevorzugten sie die beiden Klosterkirchen der Franziskaner und Dominikanerinnen und
die Spitalkirche, wobei die beiden letztgenannten auch besonders reich von dieser Personengruppe mit
Stiftungen bedacht wurden. Diese Adeligen waren zu einem Teil vermutlich Angehörige der staufischen
Ministerialität, die in Rothenburg und Umgebung ansässig geworden waren und im Laufe des 13. und 14.
Jahrhunderts mit dem frühen Stadtpatriziat verschmolzen, wie sich das auch in anderen Reichsstädten
belegen läßt6). Man kann diesen Vorgang epigraphisch leider nicht nachweisen, da sich die Adeligen auf
ihren Grabsteinen - zumindest bis 1400 - stets nach ihrer Burg oder ihrem Besitz nennen. Die wichtigsten
Namen sind: Nordenberg (4 mal genannt), Bebenburg, Seideneck,Wolmershausen (je 2 mal), dazu Flügelau,
Hohenlohe-Brauneck, Stetten, Tann, Weiltingen. Besonders dominierend ist die Gruppe der Nordenberger,
Seidenecker und Bebenburger, die, eng miteinander verwandt, offenbar großen Einfluß auf die frühe
Entwicklung der Stadt nahm7).
Nach 1400 erscheint dieser Personenkreis nur noch selten auf Rothenburger Inschriften. An seine Stelle
tritt nun das städtische Patriziat, das zu einem guten Teil mit dem Adel verwandtschaftlich verbunden ist.
In den Inschriften wird der einfache Familienname genannt mit dem Zusatz: „der Edel und Vest“, „der
Erber und Vest“ oder „die Erber Fraw“. Die bis zum Jahr 1550 am häufigsten genannten Namen sind:
4a) D. Lutz, Die Inschriften von Rothenburg ob der Tauber bis 1650 (Teildruck: Epigraphische Untersuchung),
Diss. Würzburg 1968, Kapitel II, bes. S. löff. (im folgenden zitiert: Lutz).
5) Eine Ausnahme ist z. B. die Inschrift auf der Mainzer Domtür um 1009, wo sowohl der Name des Auftrag-
gebers (ErzbischofWilligis) als auch der des Künstlers (Berenger) genannt ist. Vgl. Die Inschriften der Stadt Mainz
von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650. Gesammelt und bearb. von F. V. Arens auf Grund der Vorarbeiten von
K. F. Bauer (Die Deutschen Inschriften 2), Stuttgart 1958, S. 7, Nr. 5.
6) G. Wunder, Der Adel der Reichsstadt Hall im späten Mittelalter (Schriften zur Problematik der deut-
schen Führungsschichten in der Neuzeit 3), Limburg 1968, S. 277-298.
7) Vgl. Kdm. S. 6f., S. 27.
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