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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0061
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Erste Visitation 1525—1527.

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der Dinge in den übrigen deutschen Territorien verstehen kann.“ Von grundlegender Bedeutung
für unsere Kenntnis der Visitationen ist das oben citirte Werk Burkhardts. Auf Grund dieser
mustergültigen Arbeit (die allerdings nur die Zeit bis 1545 umfasst), einer Reihe fremder
Einzel - Untersuchungen und meiner eigenen Archiv - Studien lässt sich in knappen Umrissen
folgendes Bild von der Entwickelung des Kirchenrechts im Ernestinischen Sachsen entwerfen.
I. Erste Visitation 1525—1527.
Die Idee der Visitationen ist nicht von Luther ausgegangen.
Luther’s Ideal war die vollkommen freie Entwickelung der Dinge. Verurtheilte er doch
in der alten Kirche nichts so sehr als die festen Normen, das kanonische Recht; warnte er doch
in einem Briefe an Hausmann vor jeder Gesetzgebung in der Kirche (de Wette-Seide-
mann 6, 54). Gegen das von Hausmann gewünschte lutherische Konzil, welches Gleichheit
der Ceremonien herbeiführen sollte, sprach er sich so aus: „Wenn eine kirche der anderen nicht
folgen will aus freier wahl in äusserlichen satzungen, was ist dann von nöthen, dass man sie
soll durch dekrete oder concilien dahin treiben, die doch bald zu gesetzen und stricken der
seele gerathen werden.“
Auch das Eingreifen der weltlichen Gewalt in die rein religiöse Bewegung war seinen
Wünschen nicht entsprechend. Nur mit den Waffen des Geistes wollte er gekämpft wissen.
Luther überschätzte offensichtlich die Kraft der Lehre und unterschätzte die entgegenstehenden
Schwierigkeiten. Man lese nur die Protokolle der ersten Visitationen. Wie wenige Pfarrer
und Gemeinden trafen die Visitationen als wahrhaft evangelische an, welch energisches Ein-
greifen der Obrigkeit ist zur Überführung der alten in die neuen Verhältnisse noch erforderlich
gewesen! Wie hätte sich bei der wirklichen Lage der Dinge die freiheitliche Entwickelung
vollziehen sollen, wie sie Luther in der Vorrede zur deutschen Messe von 1526 herbeisehnte?
Die Noth brachte Luther schliesslich selbst dahin, von seinen Idealen Abstand zu nehmen
und das Mitwirken der weltlichen Gewalt in Form von Visitationen zu begehren. Es konnte eben
nicht bloss verbo regiert werden — wozu nach Luther die Geistlichkeit allein kompetent war —,
sondern es musste vi humana eingegriffen werden, und dazu besass nach Luther die evangelische
Kirche keine Gewalt, sondern das war das Recht, aber auch die Pflicht der christlichen Obrig-
keit. So sollten nach Luther beide Gewalten innerhalb des unum corpus Christianum neben-
einander wirken. Denn dass in der Kirche überhaupt keine Zwangsgewalt herrschen solle
(Sohm, Kirchenrecht S. 484ff.), hat Luther nie gelehrt; er wünschte nur, dass in der Kirche
und Christenheit der geistliche Stand diese Gewalt nicht ausüben solle.
Luther war jedoch nicht der Erste unter den Reformatoren, der die Idee der Visitationen
aufgriff. Genau stehen die Anfänge dieser nachher so ausserordentlich entwickelten Einrichtung
nicht fest. Es scheint, als wenn Herzog Johann Friedrich als Erster den Gedanken der Visitation
angeregt habe, und zwar in einem Briefe vom 24. Juni 1524: Luther solle durch Thüringen
ziehen, um die untauglichen Geistlichen zu entsetzen. (Walch 10, 398. Burkhardt, Brief-
wechsel Luther’s S. 72. Burkhardt, Visitation S. 3.) Eine Antwort Luther’sauf diesen
Brief ist nicht bekannt.
Der erste nachweisbare Versuch einer Visitation fällt in den Anfang des Jahres 1525.
Jakob Strauss nahm eine Visitation in den Ämtern Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen,
Kreuzburg und Gerstungen vor (Weimar A. Ji. Nr. 132). In einem Schreiben an Herzog Johann
vom 15. Januar 1525 hatte er sich Burkhardt Hund als Mitvisitator erbeten. Er schickte
einen Bericht über seine Visitation, in welchem er mittheilte, dass er die Visitation begonnen
habe und das Verhalten der Äbtissin zu St. Nikolaus schilderte (Weimar A. Ji. Nr. 133).
Sehling, Kirchenordnungen. 5
 
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