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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0084
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Ernestinisches Sachsen. Cap. II. 1532- 1547.

Die Pfarrsprengel waren neu eingetheilt, das Pfarreinkommen neu fixirt und die Pfarr-
besetzung im evangelischen Sinne geregelt. Lehre, Ceremonien, der Gottesdienst und das Unter-
richtswesen waren geordnet. Über dem Pfarramte war zum Zwecke ständiger Aufsicht das
Amt des Superintendenten eingerichtet worden.
Damit war aber natürlich die Verfassungsbildung der neu entstehenden Kirche keines-
wegs zu einem Abschluss gekommen. Es fehlte an einer Central-Instanz.
An die Spitze der Bewegung war zwar der Landesherr getreten. Er beherrschte, er
regierte die Kirche. Denn, obwohl ein „landesherrliches Kirchenregiment“ den Ideengängen der
Zeit völlig fremd gewesen wäre, in Wahrheit war dasselbe doch von dem Moment an vorhanden,
in welchem der Landesherr mit weltlicher Zwangsgewalt anordnend eingriff und sich dabei nicht
auf Massnahmen beschränkte, welche unter den Gesichtspunkt von einfachen Reformen zu bringen
waren, wie sie auch katholische Landesherren als Inhaber der Landespolizei vornahmen. In
der katholischen Kirche bestand eine eigentliche kirchliche Regierung neben der Staatsgewalt.
In der evangelischen Kirche fand der Landesherr keine Gewalt neben sich vor.
Man muss von den theoretisirenden Ausführungen Luther’s und der Bekenntnissschriften
über „Kirchengewalt“ und ähnliche Begriffe (vgl. darüber Sohm, Rieker u. A.) völlig ab-
strahiren, und lediglich vom Boden der positiven Verhältnisse aus die Frage beantworten: von
wem wurde die Kirche im juristischen Sinne regiert; wessen Wille beherrschte sie; wer traf
die Anordnungen, wer erliess die Gesetze? Man mag nun die Thätigkeit des Landesherrn
charakterisiren, wie man will, im rechtlichen Sinne war sie: Regierung.
Aber der Landesherr konnte diese Regierung nicht persönlich ausüben. Er bedurfte
dazu kirchlicher Hilfsorgane. Die Visitatoren hatten ja vorübergehend (vgl. oben S. 49), auch
nach erledigter Visitation, die Aufgaben solcher kirchlicher Oberbehörden erfüllt. Auf die Dauer
war dies nicht möglich, da sie nicht ständige Kommissionen waren.
Der Hof, an den man fortwährend Anliegen brachte, war solcher Aufgabe erst recht
nicht gewachsen. Je mehr Fragen an die junge Kirche herantraten, um so eher musste man
für ständige eigene Behörden Sorge tragen.
Am einfachsten wäre es gewesen, wenn man auf veränderter theoretischer Basis die katho-
lische Organisation der Bischöfe restaurirt hätte. In der That hat ja auch später Moritz von
Sachsen damit einen gründlichen Versuch gemacht. Der monarchische Episkopat wurde aber
im Ernestinischen Sachsen nicht beliebt, sondern man reorganisirte dort die katholischen Con-
sistorien, d. h. man übertrug die bisherigen bischöflichen Befugnisse an die frühere bischöfliche
Jurisdiktions-Behörde, also an. ein Collegium.
Hierzu gab besondere Veranlassung das Bedürfniss nach ständigen Ehegerichten.
Die Eherechtspfiege lag in den ersten Jahren der Reformation ausserordentlich im Argen.
Es zeigte sich sehr bald, dass man nicht den einzelnen Pfarrern die Entscheidung darüber über-
lassen konnte, ob eine Ehe als geschieden zu behandeln, ob eine neue Ehe zu gestatten sei.
Um so weniger, je unsicherer der Rechtsboden seit der bekannten Stellungnahme Luther’s gegen
das kanonische Recht geworden war. Die Amtleute brachten in ihrer Gewissensnoth schwierige
Fragen an den Hof oder an die Visitatoren. Diese Instanzen vermochten aber nicht ständige
Ehegerichte zu ersetzen. Nur solche konnten durch eine feste Praxis das neue protestantische
Eherecht auf den Trümmern des kanonischen aufbauen.
Eine Zeit lang glaubteman sich mit vorübergehend zusammentretenden Kommissionen
behelfen zu können. Die Superintendenten oder bedeutenderen Pfarrer sollten zusammen mit
den Amtleuten, oder Schössern, oder Rathsherren die eherechtlichen Fälle entscheiden und, wenn
sie Zweifel hatten, an das Hofgericht zu Wittenberg berichten. Vgl. oben S. 53 die Verfügungen
der Visitatoren für Grimma, Eilenburg, Torgau. Diese Kommissionen konnten aber auf die
Dauer ein ständiges geistliches, aus Theologen und Juristen zusammengesetztes Ehegericht nicht
 
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