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Albertinisches Sachsen. Cap. II. Moritz. (1541—1553.)
Davon, dass eine landesherrliche Sanktion für die beiden ersten Ordnungen nöthig sei,
wird nirgends, weder von Seiten der Berathenden noch von Seiten des Landesherrn selbst, ge-
sprochen. Man darf nicht vergessen, dass ein klar ausgebildetes landesherrliches Regiment
noch nicht vorhanden war. Die Consistorien richteten sich nach den von ihnen vereinbarten
Ordnungen; damit galten diese thatsächlich als kirchliche Ordnungen. Natürlich hätte nach
Lage der Dinge auch nichts im Wege gestanden, wenn sie vom Landesherrn als Landes-Ord-
nungen ausgegangen wären.
Herzog Augustus als Administrator des Stiftes Merseburg hat auch Gelegenheit genommen,
wenigstens einen Punkt aus den Celler Eherechts-Beschlüssen durch eine eigene V.O. zu publi-
ziren. Er betrifft die heimlichen Verlöbnisse. (Vgl. unten S. 100 Zeile 20 ff.)
Anders lag es mit der Agende. Diese war doch für weitere Kreise bestimmt. Einheit
und Gleichmässigkeit der Ceremonien, wie sie sowohl Georg als auch den herzoglichen Räthen
im Gegensatze zu dem abrathenden Luther dringend wünschenswerth erschienen, konnten
nur dann als verbürgt gelten, wenn der Landesherr die Ordnung anbefohlen hatte. Georg, der
sich für befugt hielt, die O. als bischöfliche kraft eigener Machtvollkommenheit ausgehen zu
lassen, nahm doch davon Abstand und wünschte, dass der Landesherr sie publizire. Und mit
Recht. Wenn man bedenkt, welchen Widerstand diese Agende nachher thatsächlich gefunden
hat, so kann man sich vorstellen, welchen Erfolg ein einseitiges Vorgehen Georg’s gehabt haben
würde. (Vgl. Sehling, a. a. O. S. 74 ff.)
Das Schicksal der drei Ordnungen war sehr verschieden. Indem ich im Einzelnen auf
meine oft citirte Schrift S. 75 ff. verweise, entnehme ich derselben hier Folgendes:
1. Die Ordnung des Consistoriums ist thatsächlich in Merseburg und Meissen in Geltung
getreten. Sie ist erstmalig abgedruckt in meiner Schrift Anhang III. 1. Darnach wird sie hier
erneut abgedruckt. (Nr. 28a.) Dass Ordnungen ohne Mitwirkung einer eigentlichen gesetz-
gebenden Autorität thatsächlich in’s Leben treten, ist in der Reformationszeit nichts Seltenes.
Wir haben sie als wirkliche Ordnungen anzusehen und daher in unsere Sammlung aufzunehmen.
2. Das Ehebedenken hat beiden Consistorien thatsächlich als Grundlage für ihre Recht-
sprechung gedient.
Man liest zuweilen, dass das Ehebedenken erst in weiteren Berathungen, namentlich zu
Leipzig Ende August 1845 seine abschliessende Redaktion erhalten habe (so bei v. Langenn,
Moritz von Sachsen II, 112; v. Langenn, Christof von Carlowitz, S. 320 ff.; Schleusner,
Anfänge des protest. Eherechts, in Z. f. Kirchengeschichte 6, 398). Das ist aber unrichtig.
Diese letzteren Berathungen betrafen den dritten Theil der Celler Beschlüsse, die Agende. Die
Ehe-Ordnung war definitiv in der ersten Berathung festgestellt, wurde vom Landesherrn nicht
beanstandet und von den Consistorien beobachtet; sie wird daher auch in den Quellen oft als
„Ordnung“ bezeichnet.
Dass sich das Merseburger Consistorium streng darnach gehalten hat, steht fest1).
Anders lauten die Ansichten für das Meissener Consistorium. Dieses soll die Ordnung nicht
beobachtet haben. Diese Ansicht wird scheinbar gestützt durch spätere wiederholte Klagen,
dass Ungleichheit in der Praxis der Consistorien herrsche. So berichtet das Leipziger Con-
sistorium 15772): „Auch Ungleichheit zwuschen den anderen consistorien im lande, welche sich
1) Zu den vielen bekannten Beweisen kommt ein neuer: In einer Zusammenstellung „Notwendigste
artikel so bisher im consistorio zu Merseburg vorgefallen und deshalben viel sachen gehindert und sonst in iren
unrichtigkeiten verblieben“ (Zerbst, St.A. Bd. V, fol. 213 Nr. 20) wird bemerkt „das sacramentum calumniae
ist nach auslegung der Cellischen ordnung nicht mehr in übung gehalten.“
2) Geffcken, Zur ältesten Geschichte und ehegerichtlichen Praxis des Leipziger Consistoriums, in
D. Ztschr. f. Kirchenrecht, 4, 19.
Albertinisches Sachsen. Cap. II. Moritz. (1541—1553.)
Davon, dass eine landesherrliche Sanktion für die beiden ersten Ordnungen nöthig sei,
wird nirgends, weder von Seiten der Berathenden noch von Seiten des Landesherrn selbst, ge-
sprochen. Man darf nicht vergessen, dass ein klar ausgebildetes landesherrliches Regiment
noch nicht vorhanden war. Die Consistorien richteten sich nach den von ihnen vereinbarten
Ordnungen; damit galten diese thatsächlich als kirchliche Ordnungen. Natürlich hätte nach
Lage der Dinge auch nichts im Wege gestanden, wenn sie vom Landesherrn als Landes-Ord-
nungen ausgegangen wären.
Herzog Augustus als Administrator des Stiftes Merseburg hat auch Gelegenheit genommen,
wenigstens einen Punkt aus den Celler Eherechts-Beschlüssen durch eine eigene V.O. zu publi-
ziren. Er betrifft die heimlichen Verlöbnisse. (Vgl. unten S. 100 Zeile 20 ff.)
Anders lag es mit der Agende. Diese war doch für weitere Kreise bestimmt. Einheit
und Gleichmässigkeit der Ceremonien, wie sie sowohl Georg als auch den herzoglichen Räthen
im Gegensatze zu dem abrathenden Luther dringend wünschenswerth erschienen, konnten
nur dann als verbürgt gelten, wenn der Landesherr die Ordnung anbefohlen hatte. Georg, der
sich für befugt hielt, die O. als bischöfliche kraft eigener Machtvollkommenheit ausgehen zu
lassen, nahm doch davon Abstand und wünschte, dass der Landesherr sie publizire. Und mit
Recht. Wenn man bedenkt, welchen Widerstand diese Agende nachher thatsächlich gefunden
hat, so kann man sich vorstellen, welchen Erfolg ein einseitiges Vorgehen Georg’s gehabt haben
würde. (Vgl. Sehling, a. a. O. S. 74 ff.)
Das Schicksal der drei Ordnungen war sehr verschieden. Indem ich im Einzelnen auf
meine oft citirte Schrift S. 75 ff. verweise, entnehme ich derselben hier Folgendes:
1. Die Ordnung des Consistoriums ist thatsächlich in Merseburg und Meissen in Geltung
getreten. Sie ist erstmalig abgedruckt in meiner Schrift Anhang III. 1. Darnach wird sie hier
erneut abgedruckt. (Nr. 28a.) Dass Ordnungen ohne Mitwirkung einer eigentlichen gesetz-
gebenden Autorität thatsächlich in’s Leben treten, ist in der Reformationszeit nichts Seltenes.
Wir haben sie als wirkliche Ordnungen anzusehen und daher in unsere Sammlung aufzunehmen.
2. Das Ehebedenken hat beiden Consistorien thatsächlich als Grundlage für ihre Recht-
sprechung gedient.
Man liest zuweilen, dass das Ehebedenken erst in weiteren Berathungen, namentlich zu
Leipzig Ende August 1845 seine abschliessende Redaktion erhalten habe (so bei v. Langenn,
Moritz von Sachsen II, 112; v. Langenn, Christof von Carlowitz, S. 320 ff.; Schleusner,
Anfänge des protest. Eherechts, in Z. f. Kirchengeschichte 6, 398). Das ist aber unrichtig.
Diese letzteren Berathungen betrafen den dritten Theil der Celler Beschlüsse, die Agende. Die
Ehe-Ordnung war definitiv in der ersten Berathung festgestellt, wurde vom Landesherrn nicht
beanstandet und von den Consistorien beobachtet; sie wird daher auch in den Quellen oft als
„Ordnung“ bezeichnet.
Dass sich das Merseburger Consistorium streng darnach gehalten hat, steht fest1).
Anders lauten die Ansichten für das Meissener Consistorium. Dieses soll die Ordnung nicht
beobachtet haben. Diese Ansicht wird scheinbar gestützt durch spätere wiederholte Klagen,
dass Ungleichheit in der Praxis der Consistorien herrsche. So berichtet das Leipziger Con-
sistorium 15772): „Auch Ungleichheit zwuschen den anderen consistorien im lande, welche sich
1) Zu den vielen bekannten Beweisen kommt ein neuer: In einer Zusammenstellung „Notwendigste
artikel so bisher im consistorio zu Merseburg vorgefallen und deshalben viel sachen gehindert und sonst in iren
unrichtigkeiten verblieben“ (Zerbst, St.A. Bd. V, fol. 213 Nr. 20) wird bemerkt „das sacramentum calumniae
ist nach auslegung der Cellischen ordnung nicht mehr in übung gehalten.“
2) Geffcken, Zur ältesten Geschichte und ehegerichtlichen Praxis des Leipziger Consistoriums, in
D. Ztschr. f. Kirchenrecht, 4, 19.