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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0194
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166

Die Kirchenordnungen. Ernestinisches Sachsen.

berufen, allein last solche freiheit nicht dem
fleisch raum geben. Wo aber die pfarherr in
solchen fellen irrig oder ungewis weren, sollen sie
sich bei andern gelertern1) rats befragen, oder
die sachen an m. g. h. amptleut oder canzlei
gelangen lassen, lauts des befelhs, so inen geben ist.
Vom freien willen.
Es reden auch viel vom freien willen un-
bescheiden. Darümb haben wir diesen kurzen
unterricht hie zu geschrieben.
Der mensch hat aus eigener kraft einen freien
willen, eusserliche werk zu thun oder zu lassen,
durchs gesetz und strafe getrieben. Derhalben ver-
mag er auch weltliche frümickeit und gute werk
zu thun aus eigener kraft, von gott dazu gegeben
und erhalten. Denn Paulus nennets gerechtigkeit
des fleisches, das ist, die das fleisch oder der
mensch aus eigener kraft thut. Wirkt nu der
mensch aus eigenen kreften eine gerechtickeit, so
hat er ja eine walh und freiheit, böses zu fliehen,
und guts zu thun. Es foddert auch gott solche
eusserliche oder weltliche gerechtickeit, wie ge-
schrieben ist zun Galatern am 3.: Das gesetz ist
gemacht, eusserlich ubertretung zu weren. Und
in der ersten zu Timoth. am 1.: Dem gerechten
ist kein gesetz geben, sondern den ungerechten
und ungehorsamen, den gottlosen und sundern,
als wolt S. Paulus sprechen, wir künnen das herz
aus eigener kraft nicht endern, aber eusserlich
ubertretung mügen wir verhüten. Man sol auch
leren, das gott nicht gefallen hat, an einem wüsten,
heidnischen leben, sondern gott foddert von jeder
man solche gerechtickeit, straft auch hart mit
allerlei weltlichen plagen und ewiger pein solchs
wüstes wesen.
Doch wird diese freiheit verhindert durch den
teufel. Denn wenn der mensch durch gott nicht
würde beschützt und regirt, so treibt ihn der teufel
zu sunden, das er auch eusserliche frümickeit
nicht helt. Solchs ist not zu wissen, das die leute
lernen, wie ein schwach elend mensch ist, der
nicht hülfe bei gott sucht. Solchs sollen wir er-
kennen, und gott umb hülfe bitten, das er dem
teufel were, und uns behüte, und uns rechte gött-
liche gaben gebe.
Zum andern, kann der mensch aus eigener
kraft das herz nicht reinigen, und göttliche gaben
wirken, als warhaftige reue uber die sunde, war-
haftige und nicht ertichte forcht gottes, war-
haftigen glauben, herzliche liebe, keuscheit, nicht
rachgirig sein, warhaftige gedult, sehnlich bitten,
nicht geizig sein etc.
So spricht S. Paulus zun Röm. am 8.: Der

natürlich mensch kann nicht göttlichs wirken,
sihet nicht gottes zorn, darümb förcht er ihn nicht
recht, sihet gottes gütickeit nicht, darümb trauet
und gleubet er ihm auch nicht recht. Darümb
sollen wir stetigs bitten, das gott seine gaben
in uns wirken wolle. Das heisst denn christliche
frümickeit.
Von christlicher freiheit.
Etliche reden auch unbescheiden von christ-
licher freiheit, dadurch die leute zum teil ver-
meinen, sie sind also frei, das sie keine öbrickeit
sollen haben, das sie fürder nicht geben sollen,
was sie schüldig sind. Die andern meinen, christ-
liche freiheit sei nichts anders, denn fleisch essen,
nicht beichten, nicht fasten, und der gleichen.
Solche ungeschickte wahne des pöfels sollen
die prediger strafen, und unterricht thun, der zur
besserung, und nicht zu frevel diene.
Nu ist erstlich christliche freiheit vergebung1)
der sünden durch Christum, on unser verdienst
und zuthun, durch den heiligen geist.
Diese freiheit, so sie wird recht ausgelegt,
ist fromen leuten sehr tröstlich, und reizet sie zur
liebe gottes, und zu christlichen werken. Darümb
sol man von diesem stücke oft sagen. Also,
welche nicht durch den heiligen geist bewaret
werden, uber dieselbigen hat der teufel gewalt,
treibet sie zu grossen lastern und schanden, macht
aus einem einen ehebrecher, aus dem andern einen
dieb, aus dem dritten einen todschleger, wie man
sihet, das viel die in solche schande fallen, wissen
nicht, wie sie dazu komen, sondern der teufel hat
sie dazu getrieben. Dis heisst das gefengnis des
menschlichen geschlechts, denn der teufel ruget
nicht, und ist ein todschleger, und wachet darnach,
das er uns umb leib und seele bringe, und hat lust
und freude an unserm verderben.
Dagegen heist christliche freiheit, das uns
Christus den heiligen geist zugesagt hat, damit er
uns regiren und bewaren wil, wider solchen teuf-
lischen gewalt.
So spricht Christus selbs, Johannis am 8.
So werdet ir recht frei sein, wenn euch der son
befreien wird.
Hie sollen die leute zur forcht vermanet
werden, das sie bedenken, in was grosser fahr sie
sind, das keiner sicher für sunde und schande ist,
wo ihn gott nicht bewaret. Dargegen sollen sie
auch getröstet und zu glauben und bitten vermanet
werden, das sie durch den heiligen geist behütet
werden wider den teufel, wie auch geboten ist durch

1) 1538 statt [freiheit ... vergebung]: freiheit,
von der gewalt des teufels frei sein, das ist, ver-
gebung etc.

1) 1538 statt [gelertern]: gelerten.
 
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