Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0089
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2. Kirchenordnung [1537]

Zum dritten hat man in der beicht auch den trost
und vorteil, das man alda in zweivelhafftigen sachen
allen seinen fehel sagen unnd rath daruber holen
kan, dan es seint vil zweivelhafftige unnd irrige sa-
chen, darin sich der mentsch nit wol schicken kan
noch die begreiffen, wan er gleichwol geschickt ist.
Wan er nun in solichem zweivel stet, so khompt er
offt in solich beschwerts gewissen, das er nit wol
weiß, wo hinauß. So nympt er dan ein geschickten,
frommen man, der der gaistlichen sachen erfarung
hadt, auff ein ort unnd helt ime vur sein anliegende
nott unnd klagt ime sein gebrech, seinen unnglau-
ben unnd seine sunde, bitt ine umb trost unnd rath,
dan waß kans ime schaden, das er sich fur seinem
nechsten, der ebensowol ein sunder ist als er, ein
wenig demutige? Es ist aber dem widerspennigen
fleischs unnd hochfertigen44 Adam gantz ge-
sunt45, er kont sunst schwerlich hierunden pleiben,
sonnder wurd zeitlich wider Gott aufbleen46 unnd
dem gleich sein wollen. | 11r | Unnd wan sunst kain
annder ursach meher were und Gott gleich nit selbs
mit bus in der beichte rette und absolvirte, wie fur-
gesagt, so solt man dannocht umb dieses ainigen
stucks willen der haimlichen beicht nit entperen,
nemblich das man darin dem priester, der dan an
Gottes stat unnd in gottlichem ambt sitzt, sein
hertz eroffnen unnd clagen kan, waß ime anligt, dan
es ist ye gar ein elendigs ding, wan das gewissen be-
schwert ist und in ainer angst ligt und kein rath
noch trost weiß. Darumb ist es auch gar ein edel,
trostlich werck, das da zwen zusamenkomen und ai-
ner dem andern rath, hulff und trost gibt, und geet
fein bruderlich und lieblich zu, einer entdeckt sein
kranckheit, der ander hailt ime seine wunden. Dar-
umb solt man der beicht nit fur alles gut47 entperen,
unnd ob sie wol Gott nit gebotten hat, so soll man
sie dannocht obgesagter notiger ursachen halber nit
verachten noch entperen. So ist ye gar nichts, wie
man sicht, wedder geferlichs noch beschwerlichs in
der beicht.
Wo man nun die leute sunst recht darvon under-
richt, das sie wissen, das on nott sey, auch von Gott
44 Hoffärtigen, stolzen.
45 Zuträglich, dienlich, GRIMM, DWb 5, Sp. 4300.
46 Sich aufblähen, aufblasen.

nit gebotten, die gewissen so grewlich zubeschweren
und zu martern, alle sunde mit allerlay umbstenden,
darzu auff besondere zeit so genaw und aigentlich,
wie man etwan von ien gefordert hadt, zuertzelen,
auch wan sie recht gelernt werden, woher vergebung
unnd gnugthuung der sunden kommen, so kompt sie
das beichten desto unbeschwerter an.
Unnser beichten ist bißher also zuganngen: Wan
man die leute absolvirt, hat man in sovil wercks
auffgelegt, damit sie solten fur die sunde gnugthun.
Ainer hat sovil mussen thun, der annder sovil tag
fasten, der dritt hat sovil gelts in die ablaßkyst mus-
sen werffen, der viert ein wallfart halten, unnd das
solt absolvirt haissen, das ist entlediget, so es doch
| 11v| erst recht angebunden und auffgelegt ist. Die
sunde[n] sollen alle hinweck sein durch die absolu-
tion, so legen sie ine erst auff, gnug darvor zuthun,
unnd zwingen die leutt also vom glauben und der
absolution auff ir aigne werck, vermugen unnd
gnugthun, so sie doch leren unnd sagen solten: Sie-
he, mein lieber brueder, das wort, so ich dir an Got-
tes stat sage, musstu mit ainem rechten glauben fas-
sen, soll de[i]n beichten recht sein.
Darumb ist es nicht recht, das man die leute mit
gebotten zu der beicht dringt bey gehorsam unnd
pene des bans, unnd wer auff bestimbte zeit nit
beichtet, das er nit soll auff dem kirchhoff begraben
werden, feret hinin, als gehort es in das weltlich re-
giment, da man mit zwang handlen muß, achtet nit
darauff, ob man gern oder ungern thue, ob er der
absolution glaub oder nit, welchs doch das furne-
migst stuck in der beicht ist, welcher glaub auch nit
in unnser macht stet zugeben noch zunemen, sonn-
der ain gabe ist vom hymel herab. Dweil es Gott nit
gebotten hat, soll es auch kein mentschs gebieten,
und wan man sie gleich alle dahin treibt, wievil seint
irer dan, die gern beichten? Under tausent kaum ai-
ner.
Nun mag doch Gott das nit gehaben, das man es
ungern unnd nit mit lust thue, sonnder er wil, das
man es von ime48 selbs mit liebe und lust von hert-
zen thue. So macht man auch mit diesen gepieten
47 Um aller Güter, um aller Dinge willen.
48 Sich.

71
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften