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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0709
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21. Almosenordnung für die Stadt Büdingen 1611

landtarmen in diesem gericht oder andern dörffern,
3. die landtstreichende bettler.
Was den ersten hauffen belangt, hat man gleichwohl
deren bisher nicht alzu eine große menge, sondern
darin den grösten mangel und beschwehrung | befun-
den, daß starcke, gerade leuth ihre kinder, eins, zwei
oder mehr, wie gleichwohl auch von etlichen auß
den dörffern beschicht, teglich herumbheischen und,
wan sie die brotsecke gefüllet, dieselbe lehren laßen
und ufs new außgeschicktο. Derselben ungebuer zu-
vorkommen, were anzustellen, daß sich alle die je-
nigen, die deß almosens begehrten, bei den kirchen-
dienern und almosenpflegern angeben und nechst
vermeldung der ursachen, warumb sie solch almosen
suchen, mit nahmen, auch anzahl ihrer kinder uf-
gezeichnet und beschrieben werden mußenπ.
Solcher cathalogus were hernacher in gegen-
wahrt vorgemelter personen von dem schultheissen,
burgermeistern und raht, alß denen die leuth be-
kandt, zuersehen, die personen zu mustern, die
dürfftigen deß almosens nach gestaltsame ihrer ar-
muth, alters, unvermöglichkeitt, leibs | kranckheit,
viele der kinder und geringigkeit ihres erwerbß, vor-
nemlich aber, nachdem sie sich ehrbarlich im leben
und gottselig und christlichp in anhörung der predig-
ten, auch gebrauch der heiligen sacramenten ver-
halten, zu würdigen und zu dem almosen einzu-
schreiben oder aber uf widrigen fall darvon außzu-
schliesenσ.
Was nun also deß almosen dürftig und würdig
befunden, under dieselbe könte, was an brott einge-
samlet, pro discretione dispensantium wochentlich
zweimal außgetheilt werden dergestalt, daß die
haußarmen selbsten in der person in der kirchen zu
o Dieses wirdt vor dem schloß mißpraucht.
π Auch denselben gewisse zeichen gegeben würdt, welche
sie vorzeigen solten, und sölte keins kein brott gereicht
werden, es hette dann ein zeichen.
p Bene.
σ Fiat.
τ Placet. Es ist bericht worden, ob selten, ein theil böse
kinder und buben das gesamblete brott mitteinander
verspielen, auch ander, so es zu ihrer leibs notturfft nicht
geprauchen, umb andere sachen verpratzen, und welche
es ihnen abnehmen, gebens hernacher ihrem viehe, als
genns, hünern und dergleichen.
υ Placet.

erscheinen und nicht die kinder schicken dürften bei
straf der privation ihrer portion, darbei dan ihnen
ferner umblauffen oder heischen allerdingß nieder-
gelegt14 sein müsteτ. |
Da man auch under denen ettliche vermercken
würde, die da nechst der steuer, so ihnen an brott
geschicht, auch andere hülff in zustehenden kranck-
heitten und andern zufellen15 benötiget, denen könte
von dem gesamleten gelt und andern gefellen deß
almosen monatlich eine fernere zusteuer nach er-
meßen beschehenv
Und damit der bettelstandt nit wüchse, sondern
abnehme, müsten die kinder von den almosenpfle-
gern, wan sie darzu tüchtig, zu handtwercken oder
sonst arbeit verdingt, insonderheit uf die knappe-
rei16 und tuchmachen, da auch die kinder mit woln-
spinnen, -kratzen, und -chartten17 ihre arbeit ver-
richten können, mit der zeit gedacht werdenφ
Betreffendt die landtarmen, obwohl deren bisher
ein zimliche anzahl vermerckt, so ist doch auch das
darbeneben in acht genommen worden, daß dieselbe
gemeinlich aus underschiedlichen | dorffen gewesen
und sich also in einem flecken derselben nicht viel
zugleich befunden, darumb solte kein unweg18 sein,
daß uf maß, wie oben bei den stadtarmen vorge-
schlagen, also auch in allen kirchspielen durch pfar-
rern, schuldheißen und die gericht oder andere den
gemeinden vorstehende personen gleichmessige er-
kandtnuß, welche des almosen würdig, vorgenom-
men und, die darzu erkandt würden, denselben und
keinen mehr in den zu solchem kirchspiel gehören-
den dörffen das samlen uf gewiße tage, wie oben ver-
meldet, und nicht drüber, gestattet, und also jeder
kirchen ihre armen under sich zuerhalten heimge-
wiesen würdenx.
ip NB: Die gassen keren, desgleichen die platz, wo deren
sein in der statt und vor dem schloß, wie auch den stein-
weg vor und umb die kirchen.
x Placet.

14 Verboten.
15 Notsituationen, Grimm, DWb 32, Sp. 342.
16 Weberei, vgl. Knappenstuhl = Webstuhl, Grimm,
DWb 11, Sp. 1349.
17 Wolle mit Kardätschen (Krätzkämmen) bearbeiten und
mit der Karde, dem Werkzeug aus der Kardendistel,
kämmen, Grimm, DWb 11, Sp. 209, 2078.
18 Schlechter, falscher Weg, Grimm, DWb 24, Sp. 2171.

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