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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (4. Band): Das Herzogthum Preussen, Polen, die ehemals polnischen Landestheile des Königreichs Preussen, das Herzogthum Pommern — Leipzig: O.R. Reisland, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.26785#0180
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Polen. Die ehemals polnischen Landestheile des Königreichs Preussen.

ein vom Pfarrherrn ganz unabhängiges evangelisches Predigtamt, aber, äusserlich betrachtet,
änderte sich an Verfassung und Ceremonien nichts; das religiöse Leben wurde jedoch für die
Umwälzungen vorbereitet, der Boden langsam, aber sicher der neuen Lehre gewonnen. Der Rath
musste oft den verfrühten ungestümen Forderungen des Volkes entgegentreten und, was bis-
weilen noch schwieriger war, die Geistlichen in den durch die Zeitverhältnisse gebotenen
Schranken halten. Man vergleiche hierüber die Prediger-Geschichte bei Hirsch 2, S. Off.
Bei dieser Lage der Dinge und entsprechend der aristokratischen politischen Verfassung
der Stadt ergab sich ein ziemlich unumschränktes Kirchenregiment des Rathes als eine historische
Nothwendigkeit. Andererseits ist es erklärlich, dass wir kirchliche Ordnungen, die ja nur vom
Rathe oder mit Billigung des Rathes ausgehen konnten, aus dieser ersten Periode unklarer Ver-
hältnisse nicht zu erwarten haben. In der That ist auch nichts derartiges erhalten oder überliefert.
Diese unklare Periode dauerte bis 1557. Zwar schon 10 Jahre nach der ersten blutigen
Niederlage begann sich die Reformation wieder zu regen. Aber der Rath konnte sich trotz der
Forderungen der Bürgerschaft nicht offen zur neuen Lehre bekennen. Erst als König Sigismund
1548 gestorben war, erlangten die Danziger von dem neuen Könige Sigismund August die Er-
laubniss, an einigen Kirchen evangelische Prediger anzustellen, so dass diese Kirchen gewisser-
massen Simultankirchen wurden. Den evangelischen Predigern wurde aber nicht gestattet, das
Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszutheilen. Am 28. Juli 1552 kam der König nach Danzig.
Die Bürgerschaft überreichte ihm ihre Forderungen in 49 Artikeln, von denen sogleich der erste
sich auf reine Lehre und Gottesdienst bezog. Unter dem Einflusse des ermeländischen Bischofs
Stanislaus Hosius bewilligte der König nichts; doch hinderte dies den Fortgang der Reformation
nicht. Der König erklärte, zwar offiziell nichts gestatten zu können, aber unter der Hand die
Dinge nicht stören zu wollen. Eine ähnliche Auskunft erhielten die Thorner und die Elbinger.
Danzig, Thorn und Elbing beschlossen deshalb, dass Danzig Ostern 1557 mit der Ein-
führung der neuen Ordnung den Anfang machen, die anderen Städte ihm nachfolgen sollten.
So wurde denn Ostern 1557 das Abendmahl in Danzig öffentlich gefeiert1). Über die dabei
benutzte Ordnung wird unten gehandelt werden. Im Jahre 1557 gelang es der Fürsprache des
Herzogs Albrecht von Preussen und des Woiwoden von Marienburg, Achatius von Zehmen,
welcher der neuen Lehre anhing und Danzig besonders zugethan war, den König zu veranlassen,
in einem Rescripte vom 4. Juli 1557 das Abendmahl in beiderlei Gestalt den Danzigern bis zum
nächsten Reichstage zu gestatten. Auch Thorn und Elbing waren dem Beispiele Danzigs nach-
gefolgt, erhielten aber die königliche Erlaubniss erst 1558.
Das Religionsprivileg für Danzig wurde erneuert von Stephan am 16. December 1577,
von Sigismund III. am 11. Januar 1588, von Wladislaw IV. am 10. März 1633. Die Privilegien
s. bei Lengnich, Gesch. der preuss. Lande 2, S. 159 und Anhang Nr. 22.
II. Bei dem vorhin geschilderten äusseren Gange der Dinge haben wir vor 1557
officielle Ordnungen nicht zu erwarten. Zwar werden die evangelischen Predicanten sich
wohl frühzeitig über eine gewisse Ordnung geeinigt haben, auch ist es nicht unwahrschein-
lich, dass sie unter einander einzelne Punkte schriftlich fixirt haben werden. Auch sind
uns Nachrichten über einige von Danziger Predicanten verfasste und in Danzig gebrauchte
agendarische Grundsätze überliefert. So die „Danksagung der christlichen gemein“ von Georg-
Wagner (Schnaase, S. 29) oder die „gemeine beichte“ des Pfarrers Pancratius (gest. 1546;
vgl. Schnaase, S. 35). Aber diese Aufstellungen betrafen nur Einzelpunkte; denn die alten
Ceremonien, namentlich die Messe und die lateinischen Gesänge, mussten auf Befehl des Rathes
möglichst beibehalten werden, und nur das unmittelbar den evangelischen Grundsätzen Wider-
1) Und zwar wohl zuerst in den kleinen Kirchen, in den Pfarrkirchen erst am 31. Octoher 1557, wobei
man in der Marienkirche den Katholiken den Hauptaltar überliess und sich mit dem Nicolausaltar begnügte,
was später wiederholt den Gegenstand von Beschwerden der Bürgerschaft gebildet hat. Vgl. unten S. 167.
 
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