Kirchenordnung 1543
Casus 65.
Wenn overst ein sonderlick casus vorfellet, de
den ehstand offte de frye belanget, so mach des
radts richter 66 mit todat twyer radespersonen und
der pastoren de sake verhören und den unschül-
digen part rechtes behelpen, darmit nicht lyff und
seel verdomet 67 und verlahren werde. De Christen
willen syn, scholen er recht in düssen saken by den
papen nicht mehr söken; wente idt iß den lüden
nen ernst, sonder maken idel spott und schande
darut, der sie mit den oren 68 lachen. Und wo können
sie recht und mit ernst van ehstande richten und
handelen,de sülven ohne ehstand sind 69 und wedder
Gades gebot leven. Wo man averst in casibus matri-
monialibus handelen schall, iß genochsam beschre-
ven in andern böken, beede, düdesch und latyn 70.
De sick nun wil in den ehstand begeven, de schall
sick deß Sondages tovoren laten affkündigen und
dat gemeine gebet der kercken begehren, up dat em
Got gnade geve, den ehstand glücksaligen anto-
fangen.
Wen dat bylager yffte die werschop geschen
schall deß avendes, so schollen brut und brüdegam
in der kercken vor deme altar tohopegegeven wer-
65 „Casus“ steht in der Niederschrift am Rand, fehlt
im Legerbuch.
66 Das Legerbuch hat statt „des radts richter“: „der
stadtrichter“.
67 = verdammt; vgl. Schiller und Lübben V, 340;
Lasch und Borchling I, 800.
68 = mit den Ihren; vgl. Lasch und Borchling I,
576 . 69 Vgl. hierzu Sehling VI, 2, 730, Anm. 30.
70 Vgl. hierzu Sehling VI, 1, 49, Anm. 69 und 70. VI,
2, 806, Anm. 13. 1064, Anm. 51ff.; O. Mejer, Zur
Geschichte des ältesten prot. Eherechtes, in: Zeit-
schrift f. Kirchenrecht 16 (1881), 35ff.; A. Stölzel,
Zur Geschichte des Ehescheidungsrechts, in: Zeit-
schrift f. Kirchenrecht 18 (1883), 1ff.; Dove-Seh-
ling, RE 3 21, 861ff.; A. Sprengler, Um eine
schriftgemäße Behandlung des Problems der Trau-
ung Geschiedener, u. H. Dombois, Grundprobleme
des Ehescheidungsrechts, in: Zeitschrift f. ev. Kir-
chenrecht 3, 2 (1954), 163ff., u. 5, 1 (1956), 40ff.;
Dombois, Das Recht der Gnade. 1961, 644ff.
71 Traubüchlein; Bek. Schr., 530 ff.
72 Der Akt der Trauung und der Akt der Segnung sind
hier also räumlich und zeitlich voneinander getrennt,
wie dies älterer Sitte entspricht; vgl. hierzu Luthers
Traubüchlein, Bek. Schr., 531 mit Anm. 1; 532 mit
Anm. 1; G. Rietschel-P. Graff, Lehrbuch der
Liturgik II 2. 1952, 701ff.; auch Sehling VI, 2, 805
mit Anm. 12.
den, und schall die benedictio yffte segeninge aver
se gelesen werden, als idt vortekend in den bocke-
schen Doctoris Martini van dem tohopegeven 71.
So averst in den groten wertschoppen brut und
brüdegam willen sick im huse tohopegeven laten,
so schal datsülve geschehen des avendes vor der
mahltydt in bywesende aller gäste. Deß andern
dages, wen de bruht to kercken geyt 72, schal dat
latineschen Te Deum laudamus gesungen und up
dem orgele gespelet werden dat ene versch umme
dat ander. Darna schall man vor dem altar ever
brut und brüdigam de benedictiones lesen und dat
volk vermanen, Gott vor se to bidden. Darna schall
gesungen werden de düdesche psalm [128] vam 73
ehstande: Wol deme, die in gadesfrochten stet. Und
schal in mitteler tydt brut und brüdegam mit eren
fründen in de armenkisten opferen und also erli-
cken wederümme mit der früntschop to hueß gaen.
Van der gemenen kasten vor de armen 74.
In den kerspelskercken schal upgerichtet wer-
den ene gemene kasten vor de armen, dar ein ider
mach ingeven, den armen tom besten, wes em Gott
int herte sendet, darmit men ock spore 75 und sehe
73 Druckvorlage: und. Die übrige Überlieferung wie
unser Text.
74 Vgl. Lübecker KO : „Van den gemeinen casten in den
kerken vor de armen“ und die folgenden Kapitel
(Sehling V, 359ff.); Hamburger KO: „Ordeninge
der casten der armen“ und das folgende Kapitel
(Sehling V, 532ff.); Braunschweiger KO : „Van den
gemeynen kasten der armen“, „Ordeninge der kasten
der armen“ (Sehling VI, 1, 445ff.). Vgl. ferner Her-
forder KO: „De drüdde deel der ordinentien...“. -
In unserer KO fehlt eine Vorschrift über die Ein-
richtung eines Schatzkastens neben dem Armenka-
sten, wie die genannten KOO sie enthalten. Doch
hier sind auch nicht beide Kästen zu einem vereinigt,
wie etwa in der Mindener KO, in der Göttinger KO
von 1531 (Sehling VI, 2, 912 ff.) nach dem Vorbild
der Leisniger Kastenordnung von 1523 (Sehling I,
601 f.) oder in der Northeimer KO von 1539 (Seh-
ling VI, 2, 932ff.). Vielmehr scheint das folgende
Kapitel unserer KO darauf hinzudeuten, daß Bon-
nus das Ziel der Einrichtung eines Schatzkastens für
Osnabrück vor Augen stand. — Zur städtischen Ar-
menfürsorge vgl. Einleitung, oben S. 246, und unten
S. 301 ff. - Die Besoldung der Prediger und Schul-
meister aus den Einkünften der Klöster und Pfarr-
kirchen lag beim Rat; vgl. Einleitung, oben S. 236 f.
75 = spüre; vgl. Schiller und Lübben IV, 339.
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Casus 65.
Wenn overst ein sonderlick casus vorfellet, de
den ehstand offte de frye belanget, so mach des
radts richter 66 mit todat twyer radespersonen und
der pastoren de sake verhören und den unschül-
digen part rechtes behelpen, darmit nicht lyff und
seel verdomet 67 und verlahren werde. De Christen
willen syn, scholen er recht in düssen saken by den
papen nicht mehr söken; wente idt iß den lüden
nen ernst, sonder maken idel spott und schande
darut, der sie mit den oren 68 lachen. Und wo können
sie recht und mit ernst van ehstande richten und
handelen,de sülven ohne ehstand sind 69 und wedder
Gades gebot leven. Wo man averst in casibus matri-
monialibus handelen schall, iß genochsam beschre-
ven in andern böken, beede, düdesch und latyn 70.
De sick nun wil in den ehstand begeven, de schall
sick deß Sondages tovoren laten affkündigen und
dat gemeine gebet der kercken begehren, up dat em
Got gnade geve, den ehstand glücksaligen anto-
fangen.
Wen dat bylager yffte die werschop geschen
schall deß avendes, so schollen brut und brüdegam
in der kercken vor deme altar tohopegegeven wer-
65 „Casus“ steht in der Niederschrift am Rand, fehlt
im Legerbuch.
66 Das Legerbuch hat statt „des radts richter“: „der
stadtrichter“.
67 = verdammt; vgl. Schiller und Lübben V, 340;
Lasch und Borchling I, 800.
68 = mit den Ihren; vgl. Lasch und Borchling I,
576 . 69 Vgl. hierzu Sehling VI, 2, 730, Anm. 30.
70 Vgl. hierzu Sehling VI, 1, 49, Anm. 69 und 70. VI,
2, 806, Anm. 13. 1064, Anm. 51ff.; O. Mejer, Zur
Geschichte des ältesten prot. Eherechtes, in: Zeit-
schrift f. Kirchenrecht 16 (1881), 35ff.; A. Stölzel,
Zur Geschichte des Ehescheidungsrechts, in: Zeit-
schrift f. Kirchenrecht 18 (1883), 1ff.; Dove-Seh-
ling, RE 3 21, 861ff.; A. Sprengler, Um eine
schriftgemäße Behandlung des Problems der Trau-
ung Geschiedener, u. H. Dombois, Grundprobleme
des Ehescheidungsrechts, in: Zeitschrift f. ev. Kir-
chenrecht 3, 2 (1954), 163ff., u. 5, 1 (1956), 40ff.;
Dombois, Das Recht der Gnade. 1961, 644ff.
71 Traubüchlein; Bek. Schr., 530 ff.
72 Der Akt der Trauung und der Akt der Segnung sind
hier also räumlich und zeitlich voneinander getrennt,
wie dies älterer Sitte entspricht; vgl. hierzu Luthers
Traubüchlein, Bek. Schr., 531 mit Anm. 1; 532 mit
Anm. 1; G. Rietschel-P. Graff, Lehrbuch der
Liturgik II 2. 1952, 701ff.; auch Sehling VI, 2, 805
mit Anm. 12.
den, und schall die benedictio yffte segeninge aver
se gelesen werden, als idt vortekend in den bocke-
schen Doctoris Martini van dem tohopegeven 71.
So averst in den groten wertschoppen brut und
brüdegam willen sick im huse tohopegeven laten,
so schal datsülve geschehen des avendes vor der
mahltydt in bywesende aller gäste. Deß andern
dages, wen de bruht to kercken geyt 72, schal dat
latineschen Te Deum laudamus gesungen und up
dem orgele gespelet werden dat ene versch umme
dat ander. Darna schall man vor dem altar ever
brut und brüdigam de benedictiones lesen und dat
volk vermanen, Gott vor se to bidden. Darna schall
gesungen werden de düdesche psalm [128] vam 73
ehstande: Wol deme, die in gadesfrochten stet. Und
schal in mitteler tydt brut und brüdegam mit eren
fründen in de armenkisten opferen und also erli-
cken wederümme mit der früntschop to hueß gaen.
Van der gemenen kasten vor de armen 74.
In den kerspelskercken schal upgerichtet wer-
den ene gemene kasten vor de armen, dar ein ider
mach ingeven, den armen tom besten, wes em Gott
int herte sendet, darmit men ock spore 75 und sehe
73 Druckvorlage: und. Die übrige Überlieferung wie
unser Text.
74 Vgl. Lübecker KO : „Van den gemeinen casten in den
kerken vor de armen“ und die folgenden Kapitel
(Sehling V, 359ff.); Hamburger KO: „Ordeninge
der casten der armen“ und das folgende Kapitel
(Sehling V, 532ff.); Braunschweiger KO : „Van den
gemeynen kasten der armen“, „Ordeninge der kasten
der armen“ (Sehling VI, 1, 445ff.). Vgl. ferner Her-
forder KO: „De drüdde deel der ordinentien...“. -
In unserer KO fehlt eine Vorschrift über die Ein-
richtung eines Schatzkastens neben dem Armenka-
sten, wie die genannten KOO sie enthalten. Doch
hier sind auch nicht beide Kästen zu einem vereinigt,
wie etwa in der Mindener KO, in der Göttinger KO
von 1531 (Sehling VI, 2, 912 ff.) nach dem Vorbild
der Leisniger Kastenordnung von 1523 (Sehling I,
601 f.) oder in der Northeimer KO von 1539 (Seh-
ling VI, 2, 932ff.). Vielmehr scheint das folgende
Kapitel unserer KO darauf hinzudeuten, daß Bon-
nus das Ziel der Einrichtung eines Schatzkastens für
Osnabrück vor Augen stand. — Zur städtischen Ar-
menfürsorge vgl. Einleitung, oben S. 246, und unten
S. 301 ff. - Die Besoldung der Prediger und Schul-
meister aus den Einkünften der Klöster und Pfarr-
kirchen lag beim Rat; vgl. Einleitung, oben S. 236 f.
75 = spüre; vgl. Schiller und Lübben IV, 339.
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