Grafschaft Ostfriesland
gemelten unsern landstenden zu beraetschlagen, wie
allen vor augen schwebenden trennungen, unruhen
und gefehrligkeiten mit fruchtbarer hülf dapfer zu
bejegnen und daß ganze regiment dermaßen zu fa-
ßen, daß die warheit und gerechtigkeit alß daß rechte
band bestendiger liebe und vertrauwlicher einigkeit
herfurgezogen und die gemeine wolfart deß vatter-
landes nach aller mögligkeit zu bestendigem guet-
tem ufnemen möge befordert werden, alleß nach
mehrem inhalt deß publicerten und verkundeten
außschreibens.
Daruf auch ritterschaft, städte und stände gehor-
samblich erschienen und nach eröfneter landtags-
proposition uns ihr underteniges, treuwherziges be-
denken schriftlich uberlieferen laßen, welches wir
nicht allein vor unß mit allem fleiß durchlesen und
reiflich erwogen, sondern nachdem wir befunden, daß
dasjennige, so darinne weitleuftig angezogen und
allenthalben begeret, ohne vorgehende unterredung
van unß nicht genzlich resolvirt und erledigt wer-
den konte, so haben wir zu dem ende unsere an-
sehenliche land- und hofräte 6 in Embden abgefer-
tiget, welche sich mit den algemeinen stenden ge-
sambt und ein jedes sonderbaren, wie dan auch in
specie mit unser stadt Embden und des dritten stan-
des 7 verordneten van allen und jeden punkten und
articulen freundlich und in der guette unterredet
und unß davon und wie weit sie sich in einem und
andern punkt mit den stenden verglichen oder nicht,
außfurliche relation einbracht, welche wir ihrer
6 Zum Unterschied zwischen Landräten, die der Rit-
terschaft angehörten und dem Landesherrn nur auf
Erfordern mit ihrem Rat und ihrer Person dienten,
und Hofräten, die ständig einen bestimmten Ge-
schäftskreis hatten, vgl. J. König, 74 ff.
7 Zu den drei Ständen vgl. Einleitung, oben S. 311 f.
Seit 1584 wurden die Bauern, die seit der Regent-
schaft der Gräfin Anna von den Landtagen aus-
geschlossen gewesen waren, wieder dazu berufen;
vgl. I. F. Feith en H. Brugmans (Hrsg.), De
Kroniek van Abel Eppens tho Equart (Amsterdam
1911) I, 517. 560; B. Hagedorn II, 267 ; J. König,
327; auch C. Woebcken, 126.
8 Einiges aus den Akten über die Vorverhandlungen
ist abgedruckt bei E. R. Brenneysen Tom. II,
151 ff. - Zum Fortgang der Verhandlungen im ein-
zelnen vgl. Apologia, 230 ff.
9 Gegen den Passus von den Privilegien, Benefizien,
Regalien usw. des Grafen wendet sich die Apologia,
wichtigkeit nach bey uns ferner erwogen und uf vor-
gehende gnuchsame beraetschlagung unß endlich
darauf resolutive erkläret und wie hienach folget,
mit ihnen voreinbaret und vorglichen 8.
Erstlich setzen wir dieses alß einen festen, un-
beweglichen grundstein aller unserer regirung, daß
wir so weinig unß, einer ungebundenen macht und
gewalt uber unsere getreuwe stende und undertanen
anzumaßen alß weinig ihnen gebuhret, ihre privi-
legia, freyheiten und alteß herkommen absolute und
also anzuziehen und zu gebrauchen, daß dardurch
der gehorsam genzlich cassirt und aufgehoben, wel-
chen sie unß. ihrer van Godt, der rom. key. maj[e-
ste]tt und dem h. reich ihnen vorgesetzter hohen
landsobrigkait und angebornen erbhern. zu reichen
und zu laisten schuldig, sondern wir seind deßen
vielmehr mit ihnen einig, daß alle die keyserliche
privilegia, beneficia, regalia, hoheiten, recht und ge-
rechtigkeiten, welche unsere lobliche vorfaren uber
daßjennige, so ihnen van ihren voreltern successorio
iure angestammet, mit einmütiger bewilligung der
domaliglebenden stenden in Ostfrießlandt van dem
h. reich erlanget oder sonst durch ihre redliche dap-
ferheit erworben 9, kegen unser getreuwen under-
tanen privilegien, freyheiten, herlig- und gerechtig-
keiten relative und in der ordnung zu verstehen,
außzulegen und zu gebrauchen, daß eines dem an-
dern, wie sich daßelbe zwißchen hern und under-
tanen gebühret, die hand biete und demnach ein
jeglicher in seinem stande daßjennige befordern und
238 ff., mit der Behauptung, der Graf schätze sich
den Kurfürsten und Fürsten im Reich gleich, deren
Geschlechter doch schon vor vielen hundert Jahren
im Besitz des höchsten Rechtes und der Macht ge-
wesen seien. Er mißachte die Privilegien der Unter-
tanen und vergäße, daß noch vor 150 Jahren die
Stände in vollkommener Freiheit gelebt hätten.
Enno könne nicht mehr Regalien haben als Ulrich I.
besessen hätte. Vgl. auch Apologia, 250 f. Stellung-
nahme der gräflichen Partei (zum Vorläufer der
Emdischen Apologia) bei E. R. Brenneysen Tom.
II, 178f. - Zur Ausbildung der gegensätzlichen
Auffassungen über die gräfliche Gewalt - die ver-
schiedenen Auffassungen waren schon vom Beginn
der Grafschaft an im Keim angelegt - vgl. H. Rei-
mers, Cirksena, 4f.; F. Wachter, 11ff.; J. König,
304ff.; auch C. Hinrichs, Die ostfriesischen Land-
stände und der preußische Staat I, in: JbE 22
(1927), 11ff. 18ff. 25ff.
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gemelten unsern landstenden zu beraetschlagen, wie
allen vor augen schwebenden trennungen, unruhen
und gefehrligkeiten mit fruchtbarer hülf dapfer zu
bejegnen und daß ganze regiment dermaßen zu fa-
ßen, daß die warheit und gerechtigkeit alß daß rechte
band bestendiger liebe und vertrauwlicher einigkeit
herfurgezogen und die gemeine wolfart deß vatter-
landes nach aller mögligkeit zu bestendigem guet-
tem ufnemen möge befordert werden, alleß nach
mehrem inhalt deß publicerten und verkundeten
außschreibens.
Daruf auch ritterschaft, städte und stände gehor-
samblich erschienen und nach eröfneter landtags-
proposition uns ihr underteniges, treuwherziges be-
denken schriftlich uberlieferen laßen, welches wir
nicht allein vor unß mit allem fleiß durchlesen und
reiflich erwogen, sondern nachdem wir befunden, daß
dasjennige, so darinne weitleuftig angezogen und
allenthalben begeret, ohne vorgehende unterredung
van unß nicht genzlich resolvirt und erledigt wer-
den konte, so haben wir zu dem ende unsere an-
sehenliche land- und hofräte 6 in Embden abgefer-
tiget, welche sich mit den algemeinen stenden ge-
sambt und ein jedes sonderbaren, wie dan auch in
specie mit unser stadt Embden und des dritten stan-
des 7 verordneten van allen und jeden punkten und
articulen freundlich und in der guette unterredet
und unß davon und wie weit sie sich in einem und
andern punkt mit den stenden verglichen oder nicht,
außfurliche relation einbracht, welche wir ihrer
6 Zum Unterschied zwischen Landräten, die der Rit-
terschaft angehörten und dem Landesherrn nur auf
Erfordern mit ihrem Rat und ihrer Person dienten,
und Hofräten, die ständig einen bestimmten Ge-
schäftskreis hatten, vgl. J. König, 74 ff.
7 Zu den drei Ständen vgl. Einleitung, oben S. 311 f.
Seit 1584 wurden die Bauern, die seit der Regent-
schaft der Gräfin Anna von den Landtagen aus-
geschlossen gewesen waren, wieder dazu berufen;
vgl. I. F. Feith en H. Brugmans (Hrsg.), De
Kroniek van Abel Eppens tho Equart (Amsterdam
1911) I, 517. 560; B. Hagedorn II, 267 ; J. König,
327; auch C. Woebcken, 126.
8 Einiges aus den Akten über die Vorverhandlungen
ist abgedruckt bei E. R. Brenneysen Tom. II,
151 ff. - Zum Fortgang der Verhandlungen im ein-
zelnen vgl. Apologia, 230 ff.
9 Gegen den Passus von den Privilegien, Benefizien,
Regalien usw. des Grafen wendet sich die Apologia,
wichtigkeit nach bey uns ferner erwogen und uf vor-
gehende gnuchsame beraetschlagung unß endlich
darauf resolutive erkläret und wie hienach folget,
mit ihnen voreinbaret und vorglichen 8.
Erstlich setzen wir dieses alß einen festen, un-
beweglichen grundstein aller unserer regirung, daß
wir so weinig unß, einer ungebundenen macht und
gewalt uber unsere getreuwe stende und undertanen
anzumaßen alß weinig ihnen gebuhret, ihre privi-
legia, freyheiten und alteß herkommen absolute und
also anzuziehen und zu gebrauchen, daß dardurch
der gehorsam genzlich cassirt und aufgehoben, wel-
chen sie unß. ihrer van Godt, der rom. key. maj[e-
ste]tt und dem h. reich ihnen vorgesetzter hohen
landsobrigkait und angebornen erbhern. zu reichen
und zu laisten schuldig, sondern wir seind deßen
vielmehr mit ihnen einig, daß alle die keyserliche
privilegia, beneficia, regalia, hoheiten, recht und ge-
rechtigkeiten, welche unsere lobliche vorfaren uber
daßjennige, so ihnen van ihren voreltern successorio
iure angestammet, mit einmütiger bewilligung der
domaliglebenden stenden in Ostfrießlandt van dem
h. reich erlanget oder sonst durch ihre redliche dap-
ferheit erworben 9, kegen unser getreuwen under-
tanen privilegien, freyheiten, herlig- und gerechtig-
keiten relative und in der ordnung zu verstehen,
außzulegen und zu gebrauchen, daß eines dem an-
dern, wie sich daßelbe zwißchen hern und under-
tanen gebühret, die hand biete und demnach ein
jeglicher in seinem stande daßjennige befordern und
238 ff., mit der Behauptung, der Graf schätze sich
den Kurfürsten und Fürsten im Reich gleich, deren
Geschlechter doch schon vor vielen hundert Jahren
im Besitz des höchsten Rechtes und der Macht ge-
wesen seien. Er mißachte die Privilegien der Unter-
tanen und vergäße, daß noch vor 150 Jahren die
Stände in vollkommener Freiheit gelebt hätten.
Enno könne nicht mehr Regalien haben als Ulrich I.
besessen hätte. Vgl. auch Apologia, 250 f. Stellung-
nahme der gräflichen Partei (zum Vorläufer der
Emdischen Apologia) bei E. R. Brenneysen Tom.
II, 178f. - Zur Ausbildung der gegensätzlichen
Auffassungen über die gräfliche Gewalt - die ver-
schiedenen Auffassungen waren schon vom Beginn
der Grafschaft an im Keim angelegt - vgl. H. Rei-
mers, Cirksena, 4f.; F. Wachter, 11ff.; J. König,
304ff.; auch C. Hinrichs, Die ostfriesischen Land-
stände und der preußische Staat I, in: JbE 22
(1927), 11ff. 18ff. 25ff.
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