Kirchenordnung 1573/74
zounen oder wie die wirkung genent werden mugten,
uben wurden, wollen wier, daß dieselben bey der
poen, so doruff verordnet, gestraffet werden, und
soll dieselbe poen den hauß- oder gasthausesarmen
in den kerspelen nach gelegenheit außgeteilet wer-
den.
Sectio quarta.
Alß wir auch eigentlich erfahren, wo etzliche unser
graff- und herrschaften undertanen ihre weltliche
hendel und gewerbe, so sie fur unsern drosten, ambt-
leuten und andern befehlichhabern vorzutragen und
außzurichten haben, gemeinlich gerne auf die heilige
tage vorschauben oder hinsetzen, wollen wir hiernit
gedachten unsern untertanen ernstlich geboden
haben, sie sich deß unzeitigen anlaufenß auf gemelte
feyertage genzlich enthalten sollen.
Sectio quinta.
Deßgleichen erfahren wir, daß etzliche unser graff-
und herrschaften undertanen auf obengeruhrte
feyertage sich von ihrer behausung ihren gescheften
nach under dem sermone uff andere kirchhove be-
geben und aldar andere leute auß der kirchen und
vom gottesdienste abfordern und zue sich kommen
laßen sollen, doruber dan der seelen heil und die
gottseligkeit durch sotane unachtsame leute an bee-
den parten verhindert wird, wollen hiermit wir so-
tane unsere undertanen obgedacht furnehment ver-
boden haben, und sollen unsere voigte, fronen und
84 Zum Aberglauben, der sich an das Osterfeuer
knüpfte — man glaubte, dadurch das Böse unschäd-
lich zu machen—, vgl. Sehling VI, 2,1187, Anm. 14d.
85 W. Lüpkes, Ostfriesische Volkskunde 2. 1925, 162,
erzählt, daß das „Paaske in de möte brannen“ in Ost-
friesland noch in der Auricher Gegend, im Harlinger-
land und im Brookmerland im Gebrauch sei. Früher
sei man durch das Osterfeuer gesprungen; die Kin-
der hätten das Feuer umtanzt und brennende Holz-
scheite oder mit Teer gefüllte Strohfackeln auf einer
Heugabel geschwungen. — Im Hinblick auf das
westfälische Rietberg sei ein Vorkommnis im nahe
gelegenen Soest angeführt. Dort wurden am 6. Mai
1575 etliche Jungen auf Fürbitten ihrer Eltern und
Freunde aus der Haft entlassen, in der sie gesessen
hatten, weil sie am Ostertag abends „bie dem Nig-
genkirchhofe ein füher gemachet, aaß (mit gunsten)
darinnen geworfen, auch darumb gesprungen und
christliche psalmen und lieder... gesungen“. Vgl.
P. Sartori, Westfälische Volkskunde. 1922, 157. -
E. L. Rathlef, Geschichte der Grafschaften Hoya
und Diepholz III. 1767, 13 f., berichtet, daß die alten
wachtmeister nach eineß jedern ohrtß gelegenheit
sotane vorachtere deß gottlichen wordes und an-
laufere verzeichnen und derselben namen denen
ambtßverwaltern ubergeben.
Die pastores sollen auch ihre kaspellßleute von
der solennitet und herligkeit der festtage fleisig
unterrichten und den mißbrauch helfen wehren,
damit alle solchem freßenß und saufenß uff den
festtagen, dorauß ein unordentlicheß lebend und
lesterung deß allmechtigen heiligen namenß erfolgt,
zuruckpleiben und nicht geschehen werden.
Den mißbrauch deß osterfeurß 84, darbey allerley
unrichtigkeit und mutwillen der jungen jugend ge-
ubet wird 85, wollen wir genzlich abrogiret und
niedergelegt haben.
Sectio sexta.
Vom vastelabend.
Dieweile der vastelabend seinen ursprung von den
unordentlichen wesent der heiden hefft und durch
den leidigen bapst in der gotteßkirchen zue ver-
hinderung göttlicher ehre, der menschen heil und
aller guten zucht und disciplinen ist angerichtet 86,
wollen wir denselben mit seinem wesent und böesen
fruchten, alße mummen, spelen, dobbelen 87, stik-
ken 88, brecken 89, rennen, inß waßer werfen, bey
hauß lang laufen, zu andern dapfer reiten und ge-
hen, danzen und kränze bringen, sich auf rädern und
böhmen 90 tragen zue laßen, den morgen fruh mägede
Einwohner der Stadt Nienburg, ebenso wie auch
noch seine Zeitgenossen, am Abend des ersten Oster-
tages zu dem vor der Stadt gelegenen Osterberg gin-
gen, um dort ein Feuer anzulegen und eine Zeitiang
mit vielen Freuden zuzubringen. - Über die Verbrei-
tung der Osterfeuer-Sitte und damit verbundene
Bräuche im allgemeinen s. R. Beitl, aaO. 587 f.
80 Die Ausgelassenheit bei Schmaus und Tanz, Um-
zügen und Maskeraden wird letzten Endes auf die
Fruchtbarkeitskulte der Antike zurückgeführt. Schon
im 11. Jh. gab die Kirche die Bekämpfung zugunsten
nachsichtiger Duldung auf. Vgl.C. Clemen, Der Ur-
sprung des Karnevals, in: Archiv f. Religionswissen-
schaft 17 (1914), 139 ff.; H.Urner, RGG 3 II, 887.
87 = spielen, mit Würfeln spielen; vgl. oben S. 383,
Anm. 25.
88 = stechen; vgl. Doornkaat Koolman III, 315 f.
89 = brechen, auch Speer oder Lanze brechen; vgl.
Grimm, Deutsches Wörterbuch 2 (1860), 344 (ebd.
ist angeführt: mit reiten, stechen und brechen auf
dem land groß lob hett).
90 = Bäumen; vgl. Schiller und Lübben I, 382.
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47 Sehling, Niedersachsen II/1
zounen oder wie die wirkung genent werden mugten,
uben wurden, wollen wier, daß dieselben bey der
poen, so doruff verordnet, gestraffet werden, und
soll dieselbe poen den hauß- oder gasthausesarmen
in den kerspelen nach gelegenheit außgeteilet wer-
den.
Sectio quarta.
Alß wir auch eigentlich erfahren, wo etzliche unser
graff- und herrschaften undertanen ihre weltliche
hendel und gewerbe, so sie fur unsern drosten, ambt-
leuten und andern befehlichhabern vorzutragen und
außzurichten haben, gemeinlich gerne auf die heilige
tage vorschauben oder hinsetzen, wollen wir hiernit
gedachten unsern untertanen ernstlich geboden
haben, sie sich deß unzeitigen anlaufenß auf gemelte
feyertage genzlich enthalten sollen.
Sectio quinta.
Deßgleichen erfahren wir, daß etzliche unser graff-
und herrschaften undertanen auf obengeruhrte
feyertage sich von ihrer behausung ihren gescheften
nach under dem sermone uff andere kirchhove be-
geben und aldar andere leute auß der kirchen und
vom gottesdienste abfordern und zue sich kommen
laßen sollen, doruber dan der seelen heil und die
gottseligkeit durch sotane unachtsame leute an bee-
den parten verhindert wird, wollen hiermit wir so-
tane unsere undertanen obgedacht furnehment ver-
boden haben, und sollen unsere voigte, fronen und
84 Zum Aberglauben, der sich an das Osterfeuer
knüpfte — man glaubte, dadurch das Böse unschäd-
lich zu machen—, vgl. Sehling VI, 2,1187, Anm. 14d.
85 W. Lüpkes, Ostfriesische Volkskunde 2. 1925, 162,
erzählt, daß das „Paaske in de möte brannen“ in Ost-
friesland noch in der Auricher Gegend, im Harlinger-
land und im Brookmerland im Gebrauch sei. Früher
sei man durch das Osterfeuer gesprungen; die Kin-
der hätten das Feuer umtanzt und brennende Holz-
scheite oder mit Teer gefüllte Strohfackeln auf einer
Heugabel geschwungen. — Im Hinblick auf das
westfälische Rietberg sei ein Vorkommnis im nahe
gelegenen Soest angeführt. Dort wurden am 6. Mai
1575 etliche Jungen auf Fürbitten ihrer Eltern und
Freunde aus der Haft entlassen, in der sie gesessen
hatten, weil sie am Ostertag abends „bie dem Nig-
genkirchhofe ein füher gemachet, aaß (mit gunsten)
darinnen geworfen, auch darumb gesprungen und
christliche psalmen und lieder... gesungen“. Vgl.
P. Sartori, Westfälische Volkskunde. 1922, 157. -
E. L. Rathlef, Geschichte der Grafschaften Hoya
und Diepholz III. 1767, 13 f., berichtet, daß die alten
wachtmeister nach eineß jedern ohrtß gelegenheit
sotane vorachtere deß gottlichen wordes und an-
laufere verzeichnen und derselben namen denen
ambtßverwaltern ubergeben.
Die pastores sollen auch ihre kaspellßleute von
der solennitet und herligkeit der festtage fleisig
unterrichten und den mißbrauch helfen wehren,
damit alle solchem freßenß und saufenß uff den
festtagen, dorauß ein unordentlicheß lebend und
lesterung deß allmechtigen heiligen namenß erfolgt,
zuruckpleiben und nicht geschehen werden.
Den mißbrauch deß osterfeurß 84, darbey allerley
unrichtigkeit und mutwillen der jungen jugend ge-
ubet wird 85, wollen wir genzlich abrogiret und
niedergelegt haben.
Sectio sexta.
Vom vastelabend.
Dieweile der vastelabend seinen ursprung von den
unordentlichen wesent der heiden hefft und durch
den leidigen bapst in der gotteßkirchen zue ver-
hinderung göttlicher ehre, der menschen heil und
aller guten zucht und disciplinen ist angerichtet 86,
wollen wir denselben mit seinem wesent und böesen
fruchten, alße mummen, spelen, dobbelen 87, stik-
ken 88, brecken 89, rennen, inß waßer werfen, bey
hauß lang laufen, zu andern dapfer reiten und ge-
hen, danzen und kränze bringen, sich auf rädern und
böhmen 90 tragen zue laßen, den morgen fruh mägede
Einwohner der Stadt Nienburg, ebenso wie auch
noch seine Zeitgenossen, am Abend des ersten Oster-
tages zu dem vor der Stadt gelegenen Osterberg gin-
gen, um dort ein Feuer anzulegen und eine Zeitiang
mit vielen Freuden zuzubringen. - Über die Verbrei-
tung der Osterfeuer-Sitte und damit verbundene
Bräuche im allgemeinen s. R. Beitl, aaO. 587 f.
80 Die Ausgelassenheit bei Schmaus und Tanz, Um-
zügen und Maskeraden wird letzten Endes auf die
Fruchtbarkeitskulte der Antike zurückgeführt. Schon
im 11. Jh. gab die Kirche die Bekämpfung zugunsten
nachsichtiger Duldung auf. Vgl.C. Clemen, Der Ur-
sprung des Karnevals, in: Archiv f. Religionswissen-
schaft 17 (1914), 139 ff.; H.Urner, RGG 3 II, 887.
87 = spielen, mit Würfeln spielen; vgl. oben S. 383,
Anm. 25.
88 = stechen; vgl. Doornkaat Koolman III, 315 f.
89 = brechen, auch Speer oder Lanze brechen; vgl.
Grimm, Deutsches Wörterbuch 2 (1860), 344 (ebd.
ist angeführt: mit reiten, stechen und brechen auf
dem land groß lob hett).
90 = Bäumen; vgl. Schiller und Lübben I, 382.
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47 Sehling, Niedersachsen II/1