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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0129
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21. Kirchenordnung

Und ist also nach der Sünde ein schrecklich Urtheil
wider alle Menschen. Denn kein Mensch, ohn al-
lein64 der Sohn Gottes, hat diesen gantzen gehor-
samb. Und gibt das Gesetz nicht Vergebung der Sün-
|38| den, sondern zeuget allein von Gottes Zorn wider
die Sünde65. Und obwol Verheissung an das Gesetz
gehenget sind66, so fordert es doch gantzen gehor-
samb dabey, spricht nicht, daß Gott ohn unser Ver-
dienst Sunde vergebe und wegneme etc.
Aber das Evangelium ist eygentlich die gnedige, frö-
liche Predigt vom Sohn Gottes, Jesu Christo, der in
dem wunderbarlichen Rath Göttlicher Majestät zu
Mittler und Versöner und zu unser Gerechtigkeit
unnd zum Seligmacher verordnet ist67. Und verkün-
diget also das Evangelium diesen ewigen, gnedigen
Trost, daß uns Gott gewißlich umb seines Sohns
Jesu Christi willen geben will, aus Gnaden, ohn un-
ser Verdienst, gratis, Vergebung der Sunden68 unnd
wil uns umb seins Sohns willen Gerechtigkeit zu-
rechnen69 und uns annemen durch den Glauben an
den Herrn Jesum Christum, der alsdann uns diesen
Trost in die Hertzen spricht unnd in uns ist unnd
giebet uns seinen heiligen Geist |39| und machet uns
Erben der ewigen Seligkeit70.
Dieses aber geschicht nicht anders dann also: Allein
durch den Glauben, das ist, so dein Hertz in rechter
angst und schrecken vor Gottes Zorn dem Evangelio
gleubet, daß dir selb umb des Herrn Christi willen
gewißlich deine Sünde vergeben sind und daß dir
Gott gnedig sey und nehme dich an umb des Herrn
Christi willen, nicht von wegen des Gesetzes oder
auß Verdienst deiner Wercke.
Und ist das Evangelium nicht eine newe Predigt, die
vor der Geburt Christi auß der Jungfrawen Maria
zuvor nicht gewesen were, sondern die Verheissung
vom Heiland Christo, der Sünd und Tod wegnimmet
und Gnad und ewiges Leben wieder giebet, ist als-

64 Außer, ausgenommen, s. Adelung 3, Sp. 596.
65 Vgl. Röm 4,15.
66 Vgl. 3Mos 18,5.
67 Vgl. 1Tim 2,5; 1Kor 1,30.
68 Vgl. Röm 3,24-25.

bald verkündiget worden nach Adams unnd Eva
übertrettung. Und ist also die Predigt des Evangelii
zur selben zeit angefangen, unnd ist der Sohn Gottes
selbst der Prediger gewesen, der erstlich die grosse
Sünd Adams und Eva gestrafft hat und hat dabey
die gnedige Verheissung außge- |40| gesprochen, die
zuvor kein Creatur gewust hat: Des Weibes Samen
wird der Schlangen den Kopff zertretten71.
Diesen Trost hat der Sohn Gottes zugleich im eus-
serlichen Wort ihnen fürgetragen und selbst in ihre
Hertzen gesprochen unnd hat also Adam und Eva
auß dem ewigen Tod errettet unnd wiederumb le-
bendig gemacht, wie Johan. 1 [4] geschrieben ist: In
ihm war das Leben. Unnd hat sie zugleich mit sei-
nem heiligen Geist gestercket, daß sie wiederumb
Frewd an Gott gehabt haben. Und haben also wie-
derumb Gott anruffen dürffen und seine Gnad und
gegenwertigkeit erkent. Und haben in diesem Glau-
ben auff den künfftigen Samen, den sie dieselbige
zeit im Wort erkent haben, vor und vor trost ge-
habt, daß ihn Gott umb desselben Herrn willen gne-
dig sey, unnd haben ihn angeruffen, ihm gedienet
und das ewige Leben erwartet.
Durch diese Verheissung hat der Sohn Gottes vor
und vor eine öffentliche Kirche erhalten, darin al-
lezeit etliche Außerwehlte ge-| 41| wesen sind. Unnd
ist sonst keine Versamblung auff Erden, die war-
hafftig Gottes Kirche sey, denn allein diese, darin
rechte Lehre vom Sohn Gottes geprediget wird.
Und ist hie sehr nötig, offt zu erinnern die Ordinan-
den und ander Leut, daß sie festiglich gleuben sol-
len, daß die Predigt oder Betrachtung des Evangelii
nicht ein vergeblich schallen oder fliegende Ge-
dancken72 sey, sondern daß der Sohn Gottes selbst
damit krefftig seyn unnd wircken wil, wie Roma-
norum 1 [16] geschrieben ist: Das Evangelium ist
eine Krafft Gottes zur Seligkeit allen, die daran

69 Vgl. Röm 4,5.
70 Vgl. Röm 8,17.
71 Vgl. 1Mos 3,15.
72 Flüchtige Gedanken, s. Grimm, DWb 4, Sp. 1966.

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