Einleitung
11. Ordnung für das Stundengebet am Stift St. Simon und Judas, [1534/35] (Text S. 262)
An dem Problem der Klöster und Stifte, die der Reformation ablehnend gegenüberstanden, hatte sich auch
Mitte der dreißiger Jahre kaum etwas geändert. Dem Drängen der evangelischen Prediger auf eine rasche
Auflösung der geistlichen Institute gab der Rat nicht nach, um dem Kaiser und dem Herzog von Braun-
schweig keinen weiteren Anlaß zu bieten, gegen die Stadt vorzugehen.
Für den 1534 in sein Amt gelangten Superintendenten Eberhard Widensee wurde die Frage des
Umgangs mit den geistlichen Instituten zu einer Belastungsprobe während seiner Goslarer Tätigkeit193. Da
an eine Aufhebung der Institute vorerst nicht zu denken war, galt es ihre Umwandlung im evangelischen
Sinne voranzutreiben. Eine der ersten aus Widensees Amtszeit überlieferten Versuche ist der Entwurf einer
evangelischen Grundsätzen entsprechenden Ordnung für das reichsunmittelbare Stift St. Simon und Judas,
in welcher die Feier der Kanonischen Stunden und der Messe durch die Kapitularen geregelt ist. Daß die
Ordnung von Widensee stammt, ist durch einen Eintrag auf der S. 138 der Vorlage bezeugt194.
In seiner Einleitung nimmt Widensee die Kritik Luthers auf195: Die Geistlichen des Stifts sollen die
ceremonien und kerken ovinge frei und ohne Zwang halten; jegliche Vorstellung, sie könnten sich damit einen
Verdienst bei Gott (betalunge tho vordenende ex opere operato) erwerben, wird zurückgewiesen. Die Feier der
Kanonischen Stunden und der nun als Abendmahlsgottesdienst gefaßten Messe wird vielmehr als „geistli-
che Übung“ für die Stiftsgeistlichen verstanden. Die äußere Gestalt des Offiziums bleibt dabei weitgehend
erhalten196: Die Kanonischen Stunden werden weiterhin im Chor der Stiftskirche gefeiert. Auch der Umfang
des Pensums bleibt erhalten; an eine Reduktion der Horen hat Widensee anscheinend nicht gedacht197. Bei
den sogenannten „kleinen“ Horen (Prim, Terz, Sext und Non) begnügt er sich häufig mit dem Hinweis auf
die für diese Hore gebräuchlichen Psalmen. Auch an der Verwendung der lateinischen Sprache hält er fest.
Lediglich bei der Feier des Abendmahls, das in der für die Goslarer Pfarrkirchen gebräuchlichen Form
stattfinden soll, ist die Benutzung der deutschen Sprache vorgeschrieben.
Am Schluß der Ordnung geht Widensee über die eigentliche Gestaltung des Offiziums hinaus, wenn er
von den Geistlichen des Stifts St. Simon und Judas die Abschaffung aller Vigilien, Seel- und anderer „Win-
kelmessen“ und eine christlichen Maßstäben entsprechende Lebensführung fordert. Darüber hinaus beharrt
er auf dem Gehorsam der Stiftsangehörigen gegenüber dem städtischen Rat als der von Gott eingesetzten
Obrigkeit. Die Ordnung Widensees scheint aber ohne Wirkung geblieben zu sein198.
12. Unterhaltung der Prädikanten und Lehrer aus dem Gemeinen Kasten, 1537 (Text S. 266)
Die Besoldung der Geistlichen stellte lange Zeit ein großes Problem dar, auch wenn die Zahl der in den fünf
Pfarreien tätigen Personen im Vergleich zur Zeit vor der Reformation deutlich abgenommen hatte199. An der
Marktkirche waren neben dem Pfarrer, der zugleich das Amt des Superintendenten innehatte, zwei Kapläne
tätig. Einer der beiden Kapläne versah noch zusätzlich die südlich der Gose gelegene Pfarrei St. Thomas,
der andere sorgte für die geistliche Betreuung der Insassen des Spitals zum Großen Hl. Kreuz. An den drei
193 Wie Amsdorf scheint auch Widensee in andere Städte
berufen worden zu sein. So war er 1535 mit der Durch-
führung der Reformation in Göttingen beauftragt. Vgl.
Dansk Biografisk Leksikon, 15, S. 495.
194 Vgl. die textkritische Anmerkung a.
195 Die Kritik Luthers hatte sich vor allem gegen den ver-
dienstlichen Charakter und die gesetzliche Erfüllung eines
Gebetspensums ohne eine entsprechende innere Haltung
gerichtet. Vgl. Leiturgia 2, S. 187-198.
196 Für die Feier der Horen dürfte von den Stiftsherren das
Brevier verwendet worden sein, das 1522 von Lorenz
Stuchs im Auftrag von Ludwig Trutebul in zwei Bänden
im Oktav-Format gedruckt wurde. Das Brevier enthielt
alle Gebets-, Lese- und Liedtexte mit erläuternden Rubri-
ken, die für die Feier der Kanonischen Stunden benötigt
wurden. Zur Beschreibung des Breviers vgl. Lohse,
Dauer der Stiftung, S. 469-477.
197 Zu einer solchen Reduzierung kam es erst mit der Ord-
nung von 1566 (s. unten Nr. 24b)
198 Vgl. Seven, Goslarer Reformation, S. 87.
199 Zu den vor der Reformation an den fünf Goslarer Pfarr-
kirchen tätigen Geistlichen vgl. Graf, Pfründe, S. 27.
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11. Ordnung für das Stundengebet am Stift St. Simon und Judas, [1534/35] (Text S. 262)
An dem Problem der Klöster und Stifte, die der Reformation ablehnend gegenüberstanden, hatte sich auch
Mitte der dreißiger Jahre kaum etwas geändert. Dem Drängen der evangelischen Prediger auf eine rasche
Auflösung der geistlichen Institute gab der Rat nicht nach, um dem Kaiser und dem Herzog von Braun-
schweig keinen weiteren Anlaß zu bieten, gegen die Stadt vorzugehen.
Für den 1534 in sein Amt gelangten Superintendenten Eberhard Widensee wurde die Frage des
Umgangs mit den geistlichen Instituten zu einer Belastungsprobe während seiner Goslarer Tätigkeit193. Da
an eine Aufhebung der Institute vorerst nicht zu denken war, galt es ihre Umwandlung im evangelischen
Sinne voranzutreiben. Eine der ersten aus Widensees Amtszeit überlieferten Versuche ist der Entwurf einer
evangelischen Grundsätzen entsprechenden Ordnung für das reichsunmittelbare Stift St. Simon und Judas,
in welcher die Feier der Kanonischen Stunden und der Messe durch die Kapitularen geregelt ist. Daß die
Ordnung von Widensee stammt, ist durch einen Eintrag auf der S. 138 der Vorlage bezeugt194.
In seiner Einleitung nimmt Widensee die Kritik Luthers auf195: Die Geistlichen des Stifts sollen die
ceremonien und kerken ovinge frei und ohne Zwang halten; jegliche Vorstellung, sie könnten sich damit einen
Verdienst bei Gott (betalunge tho vordenende ex opere operato) erwerben, wird zurückgewiesen. Die Feier der
Kanonischen Stunden und der nun als Abendmahlsgottesdienst gefaßten Messe wird vielmehr als „geistli-
che Übung“ für die Stiftsgeistlichen verstanden. Die äußere Gestalt des Offiziums bleibt dabei weitgehend
erhalten196: Die Kanonischen Stunden werden weiterhin im Chor der Stiftskirche gefeiert. Auch der Umfang
des Pensums bleibt erhalten; an eine Reduktion der Horen hat Widensee anscheinend nicht gedacht197. Bei
den sogenannten „kleinen“ Horen (Prim, Terz, Sext und Non) begnügt er sich häufig mit dem Hinweis auf
die für diese Hore gebräuchlichen Psalmen. Auch an der Verwendung der lateinischen Sprache hält er fest.
Lediglich bei der Feier des Abendmahls, das in der für die Goslarer Pfarrkirchen gebräuchlichen Form
stattfinden soll, ist die Benutzung der deutschen Sprache vorgeschrieben.
Am Schluß der Ordnung geht Widensee über die eigentliche Gestaltung des Offiziums hinaus, wenn er
von den Geistlichen des Stifts St. Simon und Judas die Abschaffung aller Vigilien, Seel- und anderer „Win-
kelmessen“ und eine christlichen Maßstäben entsprechende Lebensführung fordert. Darüber hinaus beharrt
er auf dem Gehorsam der Stiftsangehörigen gegenüber dem städtischen Rat als der von Gott eingesetzten
Obrigkeit. Die Ordnung Widensees scheint aber ohne Wirkung geblieben zu sein198.
12. Unterhaltung der Prädikanten und Lehrer aus dem Gemeinen Kasten, 1537 (Text S. 266)
Die Besoldung der Geistlichen stellte lange Zeit ein großes Problem dar, auch wenn die Zahl der in den fünf
Pfarreien tätigen Personen im Vergleich zur Zeit vor der Reformation deutlich abgenommen hatte199. An der
Marktkirche waren neben dem Pfarrer, der zugleich das Amt des Superintendenten innehatte, zwei Kapläne
tätig. Einer der beiden Kapläne versah noch zusätzlich die südlich der Gose gelegene Pfarrei St. Thomas,
der andere sorgte für die geistliche Betreuung der Insassen des Spitals zum Großen Hl. Kreuz. An den drei
193 Wie Amsdorf scheint auch Widensee in andere Städte
berufen worden zu sein. So war er 1535 mit der Durch-
führung der Reformation in Göttingen beauftragt. Vgl.
Dansk Biografisk Leksikon, 15, S. 495.
194 Vgl. die textkritische Anmerkung a.
195 Die Kritik Luthers hatte sich vor allem gegen den ver-
dienstlichen Charakter und die gesetzliche Erfüllung eines
Gebetspensums ohne eine entsprechende innere Haltung
gerichtet. Vgl. Leiturgia 2, S. 187-198.
196 Für die Feier der Horen dürfte von den Stiftsherren das
Brevier verwendet worden sein, das 1522 von Lorenz
Stuchs im Auftrag von Ludwig Trutebul in zwei Bänden
im Oktav-Format gedruckt wurde. Das Brevier enthielt
alle Gebets-, Lese- und Liedtexte mit erläuternden Rubri-
ken, die für die Feier der Kanonischen Stunden benötigt
wurden. Zur Beschreibung des Breviers vgl. Lohse,
Dauer der Stiftung, S. 469-477.
197 Zu einer solchen Reduzierung kam es erst mit der Ord-
nung von 1566 (s. unten Nr. 24b)
198 Vgl. Seven, Goslarer Reformation, S. 87.
199 Zu den vor der Reformation an den fünf Goslarer Pfarr-
kirchen tätigen Geistlichen vgl. Graf, Pfründe, S. 27.
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